Zuwenig Geld für ein Zuhause

■ Senat will durch Reduzierung von Heimplätzen mehr Jugendwohngemeinschaften einrichten / "Heimreform" mit möglichst geringem finanziellem Aufwand

7.000 Berliner Jugendliche leben in Heimen – zu viele, meint Jugendsenator Thomas Krüger (SPD). Er drängt die 23 Bezirksämter, die im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich hohe Zahl der in Heimen untergebrachten Jugendlichen zu reduzieren. 1.000 zusätzliche Plätze in Jugendwohngemeinschaften oder ambulante Betreuungsmöglichkeiten sollen eine Alternative zu der Heimunterbringung schaffen. Ein weiterer Baustein von Krügers „Heimreform“ ist es, die Erziehung von sexuell mißhandelten oder stark zur Gewalt neigenden Kindern häufiger Pflegeeltern zu übertragen.

Doch welche Familie erklärt sich schon für 100 Mark im Monat (in Ostberlin 80 Mark) dazu bereit, die Verantwortung für ein schwererziehbares Kind zu übernehmen? Während in allen anderen Bundesländern ungefähr dreimal soviel Erziehungsgeld gewährleistet wird, strebt die Jugendsenats-Verwaltung eine Heimreform mit möglichst geringem finanziellem Aufwand an. Auch wenn für materielle Aufwendungen wie Mietzuschüsse und Kleidung zusätzlich zwischen 700 und 900 Mark monatlich zugestanden werden, nehmen nur wenige Familien ein zusätzliches Kind auf.

Schwerwiegend sind gerade im Ostteil Berlins die sozialen Unsicherheiten. Viele Jugendliche müssen nicht nur ihre eigenen psychosozialen Probleme, sondern auch innerfamiliäre Krisensituationen aushalten. Überdurchschnittlich hoch ist hier die Zahl der gewaltbereiten 15- bis 20jährigen. Der Bedarf an psychosozialen Therapien steigt ständig, so der leitende Sozialarbeiter vom Bezirksamt Prenzlauer Berg, Manfred Rabatsch. Doch dem Rechtsanspruch aus dem Kinder- und Jugendgesetz auf „rechtzeitige und ausreichende“ Pflege wird auch in nächster Zeit noch ein zu geringes Betreuungsangebot gegenüberstehen.

In Prenzlauer Berg ist die Zahl der „gewalterfahrenen Jugendlichen“, die sich zu einer Gruppentherapie gemeldet haben, so groß, daß fünf Arbeitsgemeinschaften mit einem jährlichen Kostenaufwand von je 70.000 Mark eingerichtet werden müßten. Der Senat stellte jedoch nach Angaben Manfred Rabatsch' insgesamt nur 30.000 Mark für diesen Therapiebereich zur Verfügung.

Als weitere Alternative verweist der Senat auf die derzeit 350 Plätze in betreuten Wohngemeinschaften, in denen Jugendliche selbstverantwortlich ihr Leben gestalten können. Zwar ließe sich die Zahl der freien WG-Plätze leicht erhöhen, indem Jugendliche nach der Beendigung ihrer Therapie mit 18 oder 21 Jahren ihre eigenen Wege gehen. Doch die schlechte Wohnungsmarktsituation zwingt viele, in den betreuten WGs zu bleiben – zum Tagessatz von je 149 Mark.

Obwohl den Jugendämtern im Ostteil der Stadt gerade 14,2 Prozent der vom Senat bewilligten Finanzmittel zustehen, strebt die Verwaltung eine Angleichung des Therapieangebotes an das Westniveau an. Die Pläne des Senats sehen eine Umverteilung der durch eine Reduzierung der Heimplätze frei werdenden Gelder auf andere Betreuungsangebote vor. Die Realisierbarkeit dieser Reform erscheint jedoch fraglich. Nach den Berechnungen von Rabatsch fehlen alleine in Prenzlauer Berg 6,2 Millionen Mark für die Jugendarbeit. Für alle Bezirke errechnete er ein Defizit von 50 bis 60 Millionen Mark.

Schon seit zwei Jahren liege dem Senat eine genaue Bedarfsaufstellung für den Bereich Jugendarbeit vor, die jedoch bis heute keine Beachtung gefunden hätte. Der Senat habe eine Reduzierung der Heimplätze durch einen rechtzeitigen Ausbau anderer Therapiemöglichkeiten verpaßt. Nun drohe eine immense Kostensteigerung. In den östlichen Bezirken erreiche der Bedarf an Heimplätzen über kurz oder lang das Westniveau, während gleichzeitig die Tagessätze für eine Heimunterbringung ständig steigen. Christine Schiffner