Witzischkeit kennt keine Grenzen

■ Halbwegs lustige Tropen: Schon wieder ein neues Buch von Nigel Barley

Was passiert, wenn sich Arbeitskollegen nach Feierabend zumPlausch beim Bier zusammenfinden? Klar – sie erzählen sich Anekdoten aus der Firma, was für unbeteiligte Zuhörer meistens sterbenslangweilig ist.

Aber es gibt einige Berufe, die von dieser Regel ausgenommen sind: wo solche Anekdotenerzählerei für Außenstehende nicht nur interessant, sondern sogar derart faszinierend ist, daß das Erzählen über den Job oder besser darüber, was man dabei so alles erleben kann, quasi zu einer eigenen Variante desselben wird – ein Part, den dann solche VertreterInnen des jeweiligen Berufsstandes übernehmen, die über besonders öffentlichkeitswirksame Begabungen verfügen. Zu diesen Berufen gehören die Psychiatrie und Psychotherapie, die Prostitution und nicht zuletzt auch die Ethnologie. Daß letztere anekdotisch besonders ergiebig ist, ist allerdings keine besonders umwerfende Neuentdeckung mehr – eher könnte man den Verdacht haben, daß im Falle der Völkerkunde das Erzählen von Anekdoten älter ist als der Beruf bzw. die Wissenschaft selbst. Erst die akademisch installierte Ethnologie konnte den Anschein erwecken, durch wissenschaftliche Methoden objektive Erkenntnisse zu garantieren. Allerdings nicht lange: Renegaten in den eigenen Reihen ziehen in regelmäßigen Abständen immer wieder den Authentizitätsanspruch ethnologischer Feldforschungsberichte in Zweifel: Kann man wirklich objektiv über Fremde berichten, wenn man sich selber nicht zu Hause lassen kann und deswegen eben nicht nur Auge, Ohr und Schreibheft, sondern eine kulturelle und individuelle Identität mitbringt? Bronislaw Malinowski und Claude Lévi- Strauss haben mit der Veröffentlichung ihrer privaten Feldforschungstagebücher aus der backstage-Perspektive des Ethnographen über dieses Problem berichtet, Malinowskis „Tagebücher“ und Lévi-Strauss' „Traurige Tro- pen“ sind allerdings eher traurige Texte über die Erfahrung, nie wirklich ankommen zu können. Der englische Ethnologe Nigel Barley, der sich selbstbewußt in die Tradition seiner beiden großen Vorgänger stellt (eines seiner populärsten Bücher trägt den Titel „Traumatische Tropen“), setzt dagegen auf Humor. In seinen etwas anderen Feldforschungsberichten betont er vor allem die Komik, die in der Situation des Ethnographen im Feld lauert, der wie ein Trottel durch unbekannte Kulturen stolpert, überall aneckt und ohne die Unterstützung seiner Forschungsobjekte hilflos wie ein Baby wäre. Tatsächlich sind ihm mit „Traumatische Tropen“ und „Die Raupenplage“ – Berichte über seine Afrika-Aufenthalte – zwei schöne Bücher gelungen, die voll Humor und Selbstironie schildern, in welche Fallen der Ethnograph tappen, auf welche Holzwege er geraten und welchen unerwarteten Schwierigkeiten er sich gegenübersehen kann. Sein neuestes Buch (diesmal war er in Indonesien) hinterläßt jedoch einen etwas schalen Nachgeschmack und den Eindruck, Barley habe diesmal keine Gelegenheit auch noch zum fadesten Witz auslassen wollen: der Kollege, der von Forschungsgeldern fast auch noch seine Scheidung finanziert hätte, der hervorragend informierte Eingeborene, der sich dann als Fachkollege herausstellt, der entzückende Frauendarsteller in der traditionellen Theatergruppe, den Barley mit Komplimenten über seinen realistischen Busen überschüttet, bis „er“ sich als Ehefrau des Theaterchefs zu erkennen gibt – Witzischkeit kennt hier tatsächlich keine Grenzen. Unter so viel Gags sind natürlich auch ein paar gute – „Ethnologie ist keine gefährliche Sportart“, läßt sich der Forscher von seiner Versicherung bestätigen, bevor er ins Feld zieht –, alles in allem also ist die Lektüre von „Mister Puttymann“ einem Abend mit Augenoptikern, Molekularbiologen oder Vertretern anderer langweiliger Branchen (Verzeihung!) sicher vorzuziehen. Alke Wierth

Nigel Barley: „Hallo Mister Puttymann. Bei den Toraja in Indonesien“. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Klett-Cotta Verlag, 229 Seiten, geb., 36,80 DM