Was vom Vater übrigblieb

Warum auch britische Intellektuelle mit Irland nichts zu tun haben wollen. Interview mit Jim Sheridan, dem Regisseur von „Im Namen des Vaters“. Endlich ein „JFK“ für old Europa?  ■ Von Christian Bartels

Eine ausführliche Besprechung dieses Films um den Justizskandal „Guildford Four“ durch unseren Irland-Korrespondenten Ralf Sotscheck erschien während der Filmfestspiele auf unseren Berlinale-Seiten vom 16. Februar. Kurzkritik heute siehe Daumenkino.d.R.

taz: Welchen Nerv trifft Ihr Film, warum wühlt er die Leute so auf?

Jim Sheridan: Ich vermute, die Guildford Four und die Maguire Seven sind ein so dankbares Thema, weil es um diese ungeheure Ungerechtigkeit geht. Vater und Sohn, die Tante und 13- bzw. 15jährige Kinder, alle eingesperrt für ein Verbrechen, das sie nicht begangen haben.

Haben Sie diese Reaktion auf Ihren Film erwartet?

Ja, ein wenig schon. Denn in England herrscht eine enorme Arroganz. Seit 60 Jahren wurde in den Nachrichten und überall nur ihre Seite der Geschichte erzählt. Und Irland hatte keine gleichwertigen Medien, nur zeitweise das Fernsehen, das dann aber auch verstummt ist. Da war die IRA wie ein Kind, das an die Badezimmertür hämmert, aber nie gehört wird. Es ist ungesund, immer nur eine Perspektive zu haben.

Andererseits wird die IRA in Ihrem Film auch nicht besonders sympathisch dargestellt, im Gegensatz zu dem, was die englische Presse Ihnen vorgeworfen hat.

So ist es richtig: Zuerst dem englischen Establishment und dann der IRA die Peitsche geben. Das ist gerecht.

Sie haben gesagt, der Film sollte in keinem Fall „Britain-bashing“ werden. Dennoch erscheint Justitia Britannica als ein einziges Schweinesystem...

Nun, ich hatte keine Probleme damit, dem britischen Establishment die Peitsche zu geben. Denn seine Beziehung zu Irland war lange sehr schlecht. Es hat den Kontext für all diesen Ärger geschaffen, aber dann die Verantwortung dafür nicht übernommen. Es wird immer gesagt, bei den Konflikten in Nordirland handele es sich um ein irisches Problem. Das ist es nicht. Es ist britisches Territorium, und die Einwohner werden als Briten bezeichnet. Das Problem liegt in der Definition der britischen Identität... Jeden Freitag spricht John Hume, ein irischer Politiker, im House of Commons das Thema Irland an. Meistens sind gerade acht Leute anwesend. Wenn es dieselben Konflikte in Birmingham oder Glasgow gäbe, dann gäbe es ein Riesengeschrei.

Wendet sich der Film nur nach Innen, oder sollen auch Leute etwas mitnehmen, für die „Im Namen des Vaters“ zunächst nur ein Politfilm ist?

Natürlich sollte es auch außerhalb der beiden Irland verstehbar sein. Denn im allgemeinen glauben die Leute, daß England die moderne Gesellschaft sei mit dem Parlament, der Rechtsprechung usw. Und daß Irland eine irgendwie altmodische Gesellschaft sei. Ich meine, im Gegenteil, daß Südirland eine verfassungsmäßige Demokratie ist und England eine Monarchie ohne echte Verfassung mit altmodischer Gesellschaft. Es wird nur seiner vergangenen Machtstellung wegen nicht so angesehen.

Es gibt auch ein gewisses Problem mit den britischen Intellektuellen. Sie hatten niemals eine revolutionäre Haltung gegenüber England. Das einzige, was sie je getan haben, war Cromwells Einführung der Verfassung in den 1680er Jahren. Seit der Französischen Revolution haben sie Angst vor Revolutionen. Sie haben sich sehr mit dem Algerienkrieg und Frankreich beschäftigt, mit Sartre und Camus. Aber über die irische Situation hat sich kein einziger englischer Intellektueller je ähnliche Gedanken gemacht. Jetzt fühlen wir uns dafür verantwortlich. Wir fühlen, daß wir als Opfer den Ausweg finden müssen, nicht diejenigen, die uns zu Opfern gemacht haben.

Was, glauben Sie, sind die Motive für die Einwände gegen Ihren Film von links wie von rechts?

Die Rechte hat bloß gesehen, daß wir das englische Establishment anprangern wollen. Deshalb versuchen sie uns an den Pranger zu stellen. Dabei ist es ihnen ganz egal, wie sie das tun. Ob sie, wie zum Beispiel die Sunday Times, Bono beschuldigen, einen Pro- IRA-Film zu unterstützen, ohne den Film gesehen zu haben und obwohl sie wissen, daß er das nie tun würde. Sie behaupteten, daß er bedroht worden sei. Kurz, sie haben versucht, den Film in jeder nur möglichen Form zu attackieren. Wir wußten, daß so etwas geschehen würde, und waren deshalb nicht besonders betroffen.

Und dann kamen die Leute, um die es im Film geht, und haben ihre Einwände vorgebracht. Das war so ähnlich wie bei Rembrandt, als er das Gruppenbildnis mit Ratsherren gemalt hatte. Da wollten alle, die im Hintergrund standen, in den Vordergrund. Und alle, die im Vordergrund standen, dachten, sie hätten zu viel Licht in ihren Gesichtern und sähen häßlich aus und wollten in den Hintergrund. Das fand ich lustig!

Und dann griff die Linke uns an. Gewissermaßen hat die englische Linke eine patrizische Haltung. Sie behandeln die Leute in einer herablassenden, wohlfahrtsmäßigen Weise wie im 19. Jahrhundert. Sie hatten ihr eigenes Bild von den Guildford Four und den Maguire Seven. Ich glaube, daß wir diese Leute nicht als Opfer gezeigt haben, das hat sie verstört. Wir haben die beiden Teile, die Guildford Four und die Maguire Seven (denen tatsächlich zwei getrennte Prozesse gemacht wurden), zu einer Familie zusammengefügt. Im Prinzip haben wir gesagt: Zur Hölle mit euch und euren Gesellschaftsstrukturen. Die korrekte Struktur ist die dieser Familie, in der der Vater mehr oder weniger für alles die Verantwortung übernimmt. Sogar für das, was ihm als Opfer zustößt, auch wenn niemand sonst diese Verantwortung übernimmt. So sind die Leute von Belfast.

Wegen solcher Veränderungen, wegen Ihrer dramatischen Freiheiten im Umgang mit einer wahren Geschichte wurden Sie auch angegriffen.

Wir wußten, daß wir so oder so angegriffen werden würden und daß jedes Detail der Geschichte auf die Probe gestellt werden würde. Wir haben zum Beispiel entschieden, in die letzte Anhörung vor Gericht die Tatsache einzubauen, daß sie die Alibi-Aussage unterdrückt hatten. In Wirklichkeit hatten sie sie niemals vor Gericht gezeigt. Die Justiz hatte die Fakten so präsentiert, daß sie die Gefangenen freiließ, weil ein Polizist ein Datum von 1975 mit 1974 vertauscht hatte. Wir haben aus dem Konvolut von zeitgenössischen Notizen einfach das Alibi hervorgeholt und gefragt: Warum habt Ihr das unterdrückt? Wir haben sozusagen unseren Film als Gerichtsverhandlung benutzt.

Ist Ihr Film eher eine unabhängige europäische Produktion oder ein amerikanischer Major-Film?

Eher ein Major-Film. Ich habe einige Traditionen des europäischen Kinos benutzt wie die Filme von Pontecorvo und Costa-Gavras, die ich sehr schätze. Aber finanziert wurde der Film aus Amerika.

Hat sich das auf die Erzählweise, auf die Dramatisierung des Stoffes ausgewirkt?

Woher das Geld kommt, wirkt sich immer aus. Ich habe versucht, damit umzugehen, anstatt so zu tun, als gäbe es solche Zusammenhänge nicht. Ich habe mich einfach bemüht, einen Film für weniger Geld zu drehen, als die Amerikaner normalerweise ausgeben. Weil uns das gelungen ist und wir ihnen einen billigeren Film abgeliefert haben, haben sie keinen Druck ausgeübt. Sie machen nur dann Druck, wenn man einen finanziellen Level erreicht, der den Profit bedroht.

Vom politischen Hintergrund abgesehen, nimmt Ihr Film eine ganze Reihe von Hitchcock-Motiven wieder auf und führt sie weiter, zum Beispiel die Konstruktion mit Vater und Sohn in einer Zelle. Vor allem natürlich „Der falsche Mann“.

Ich bin sicher, ich habe diesen Film als Kind gesehen. Hitchcock war auch katholisch, nicht wahr? Tatsächlich steht die Vater-Sohn- Beziehung im Zentrum des Films, sie macht die Geschichte in gewisser Weise zu einer griechischen Tragödie, zur Antigone. Deren Problem war, daß ihr Bruder begraben werden mußte. Gerrys Problem ist, daß der Name seines Vaters gereinigt werden muß. Der Tote wird nicht ruhen, bis sein Name gereinigt ist, das ist das Thema. Sozusagen präsentiert Giuseppe (der Vater) alle Opfer dieser Welt. Der Ärger beginnt, wenn der Staat in die Familie hereinbricht und die Autorität der Eltern unterläuft und die Kinder sich selbst überlassen bleiben. Das geschieht natürlich überall, aber in Irland ist es besonders unerträglich.

Warum?

Weil das in Irland doppelt geschieht. Da war die englische Autorität von außerhalb und dann die protestantische gegen die katholische. Das reicht Jahrhunderte zurück. Ich meine, es ist kein Scherz, daß alle keltischen Könige bei Shakespeare tragische Wahnsinnige waren. Shakespeare war das Genie des protestantischen England. Er schrieb auf Kosten einer Veränderung, über eine neue Gesellschaft, in der persönliche moralische Verantwortung wichtig war. Auch die Funktion der Familie wurde neu definiert. Zumindest hat Heinrich VIII. die Familienstruktur neu definiert, als er seine sechs Frauen umbrachte.

Aber im Film ist die „Lösung“, die Gerrys Befreiung ermöglicht, rein zufällig. Wenn der eine Archivar nicht krank gewesen wäre, wenn die Anwältin nicht diese eine bestimmte Akte gefunden hätte, dann säße Gerry immer noch im Gefängnis.

Ja, bis zu einem gewissen Ausmaß ist es so. Aber da ist schon von außen der Druck der Kampagne zur Befreiung der Guildford Four. Und außerdem wendet sich Gerry an eine Frau, gewissermaßen zur femininen Seite seiner selbst. Er kann nicht gewinnen, wenn er sich als Macho gibt. Aber Filme sollten nicht allzu wörtlich genommen werden. Wir haben keine deus-ex- machina-Lösung gebraucht. Es gab aber keinen Weg, die ganze Kampagne zu zeigen.

Wird „Im Namen des Vaters“ Ihr „JFK“?

Natürlich gab es Stones Film als Vergleich. Aber bei ihm ging es viel mehr um Verschwörung als bei uns. Wir gehen der Verschwörung nicht im einzelnen nach. Niemand weiß, wie weit nach oben sie reichte. Es geschah hinter verschlossenen Türen. Es war auch nicht diese Geschichte, die ich verfolgen wollte. Das wäre zu einer Art Rache geraten, zu einer Darstellung des Staates als gigantischer Verschwörung. Der Staat an sich ist keine Verschwörung, er ist nur ein verdammter Staat, eine im Prinzip offene Situation...