Israelische Siedler demonstrieren

Zur Großkundgebung der rechten Opposition Israels erschienen mindestens 30.000 Menschen / Sturz von Rabin gefordert / Besetzte Gebiete sind angeblich unverzichtbar  ■ Aus Tel-Aviv Amos Wollin

Die Veranstalter waren auf genaues Timing bedacht. Pünktlich zum USA-Besuch von Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin versammelten sich am Dienstag abend in Tel-Aviv Zehntausende von Siedlern und anderen Mitgliedern der rechten Opposition, um gegen die Regierungspolitik in den besetzten Gebieten zu demonstrieren. Nach Angaben der Polizei kamen dreißig- bis vierzigtausend Menschen. Es sollte auch eine „Solidaritätskundgebung“ mit den „Pionieren des zionistischen Aufbauwerks, den Bewohnern von Judea, Samaria und des Golan“ sein, wie Likud-Führer Benjamin Netanjahu in seiner Ansprache betonte. Er rief die Israelis auf, die Regierung Rabin zu Fall zu bringen. „Jedenfalls werden wir alle verhindern, daß Siedler aus ihren Kolonien vertrieben werden.“ Die Menge antwortete mit dem Schrei: „Rabin ist ein Verräter!“

Unter den Rednern war auch der ehemalige Ministerpräsident der Likud-Regierung, Jizhak Schamir, der das Abkommen mit der PLO „einen Betrug“ nannte und behauptete, ohne „Judea und Samaria“ – er meinte die Westbank – „und ohne den Golan kann auch Tel-Aviv nicht existieren“. Diese Gebiete dürften schon deshalb nicht aufgegeben werden, erklärte er unter tosendem Applaus.

Ein riesiges Polizeiaufgebot versuchte währenddessen, einige „untergetauchte“ Führer der nun verbotenen Kach-Organisation zu verhaften. Die Polizisten konnten jedoch nur neun Jugendliche mit rechtsradikalen Flugblättern und „Kach“-T-Shirts festnehmen.

Nationalreligiöse und Orthodoxe, an ihrer Kleidung leicht zu erkennen, waren am stärksten vertreten. Aus den Siedlungen in den besetzten Gebieten waren ganze Familien mit kleinen Kindern erschienen. Ihre Plakate trugen Aufschriften wie „Chamberlain 39, Rabin 94“ oder „Dieser Frieden wird zur Hölle“. Eine Gruppe von Siedlern mit gelben „Judensternen“ auf der Brust betete vor TV- Kameras. Der rechtsextreme Knesset-Abgeordnete Rehavam Zeevi wurde bejubelt, als er behauptete, die Rabin-Regierung habe das Kach-Verbot nur „wegen des Drucks aus Tunis“ verhängt.

Der gescholtene israelische Ministerpräsident wurde derweil im Weißen Haus empfangen, um weitere Schritte zur Wiederaufnahme der Nahost-Gespräche abzusprechen. Der UN-Sicherheitsrat setzte seine auf Druck der USA immer wieder verschobene Abstimmung zur Verurteilung des Hebron-Massakers für morgen auf die Tagesordnung. Am 25. Februar hatte ein Siedler in Hebron dreißig Palästinenser ermordet.

In seiner Rede vor der Aipac, der Israel-Lobby in Washington, rief Rabin Syriens Präsidenten Assad auf, „noch eine letzte Meile zu gehen, um mit uns auf dem Weg zum Frieden zusammenzukommen“. Gleichzeitig forderte Rabin von der PLO die sofortige Wiederaufnahme der durch das Massaker unterbrochenen Verhandlungen. Mit Präsident Clinton hat Rabin unter anderem die erneute diplomatische Offensive Moskaus im Nahen Osten erörtert. Israel und die USA wollen sich die alleinige Regie im Nahost-Friedensprozeß nicht aus der Hand nehmen lassen.

Die passende Begleitmusik zu Rabins USA-Besuch und der rechtsradikalen Großdemonstration spielten Israels Medien. Sie behaupteten, daß Moskau den Syrern angeblich gerade jetzt neue Angebote zur Lieferung modernster Waffensysteme macht.

Gestern wurde die Wiederaufnahme der Schass-Partei in Rabins Regierungskoalition damit besiegelt, daß die Knesset die Einfuhr nicht koscheren Fleisches verbot. Damit war die Koalitionsbedingung der religiösen Partei erfüllt, die außerdem den Innen- und den Kulturminister stellen wird. Die Regierung verfügt damit wieder über 62 der 120 Knesset-Sitze.