Vorhölle für Junkies

■ Süchtig in Untersuchungshaft: Den Drogenentzug mit der Brechstange praktiziert Von Sannah Koch

Horrorträume Nacht für Nacht, unstillbare Gier nach dem Gift, Schmerzen, ein epileptischer Anfall – Folgen der medizinschen Betreuung durch eine Hamburger Anstaltsärztin. In gesundheitlich stabilem Zustand war die 29jährige Petra C. am 13. Dezember wegen Drogenkonsums ins Untersuchungsgefängnis (UG) am Holstengacis eingefahren. Über zehn Jahre heroinabhängig, hatte sie es drei Monate zuvor geschafft, ins Polamidon-Substitutionsprogramm aufgenommen zu werden. Dann, vor zwei Wochen, ihre vorzeitige Haftentlassung – tags drauf fand sie sich im Krankenhaus wieder: Sie war auf der Straße wegen einer Überdosis zusammengebrochen. Schuld daran trägt nach Petras Ansicht die Anstaltsärztin.

Drogenabhängige im Knast: Das Hamburger Untersuchungsgefängnis ist voll davon – bis zu 90 Prozent der Inhaftierten in der komplett überbelegten Anstalt sind süchtig. Drogensucht sei Krankheit, betont die Hamburger Sozialbehörde seit Jahren – eine Einsicht, die sich bei Anstaltsärzten noch nicht durchgesetzt hat. Die Erlebnisse von Petra werfen ein Schlaglicht darauf.

Das UG mit seiner Beobachtungsstation B2 ist für viele Junkies mit Knasterfahrung ein Synonym für Vorhölle: „Da schnallen sie dich nackt ans Bett“, erzählt Petra. „Und dann Tag und Nacht Neonlicht. Davon kriegst du die Anfälle“. Wie Petra, gleich am zweiten Tag auf der B2. „Sie haben mir die vom Arzt verordenten Anti-Epileptika weggenommen.“ Als sie aus der Bewußtlosigkeit aufgewacht und zu schreien begonnen habe, habe der Pfleger gedroht: „Stell Dich nicht so an, sonst kriegst Du kein Pola mehr.“

Nur wenige der rund 60 Frauen im UG haben das Privileg, Polamidon zu bekommen; die meisten werden auf B2 entzogen, zumeist ohne medikamentöse Unterstützung. Vor einem Entzug sind aber auch Substituierte nicht gefeit: „Mein Arzt hatte mir 18 Milliliter Pola am Tag veschrieben“, erzählt Petra. Trotzdem habe die Anstaltsärztin ihr eine niedrigere Dosis verabreicht – „ohne es mir zu sagen.“ Wochenlang habe sie mit Schmerzen und Übelkeit gekämpft, ihr Blutdruck spielte verrückt (Petras Freund: „Ihre Haut war ganz blau“). Und: „Jede Nacht habe ich geträumt, mir einen Schuß zu setzen.“ Nur durch Zufall erfuhr sie, daß die Ärztin sie herunterdosiert hatte.

Ohne Begründung. Aber es ist kein Geheimnis, daß Hamburgs Anstaltsärzte Substitution ablehnen. Anders als viele Mediziner jenseits der Knastmauern beharren sie auf dem strikten Dogma „drogenfreies Leben“ – egal, ob die Abhängigen das können oder wollen. Gegen diese Mauer des Unwillens prallte auch der neue Justizsenator Klaus Hardraht schon – vor einigen Wochen wies er die Ärzte dennoch an, das Substitutionsprogramm in den Haftanstalten endlich auszuweiten.

Petra half diese Anweisung jedoch wenig, ebenso ihrer Freundin Iris. Deren Hungerstreik – Reaktion auf die für sie unerträgliche, radikale Herabdosierung – nahm die Ärztin zum Anlaß, ihr das Polamidon gleich ganz zu streichen.

Petra war weniger hilflos: Sie schrieb Protestbriefe an die GAL und an den Drogenbeauftragten. Ergebnis: Innerhalb weniger Tagen wurde ihre Reststrafe, gegen die Auflage Therapie, ausgesetzt. Entlassen wurde sie ohne Krankenschein und ohne ihr Polamidon – den Stoff gibt–s ja am Hauptbahnhof. Seit ihr Freund sie aus dem Krankenhaus abgeholt hat, geht es langsam wieder bergauf. Ihr Arzt hat sie inzwischen wieder auf die richtige Dosis Pola eingestellt – „jetzt kann man wieder richtig mit ihr reden“, sagt ihr Freund.