Schonfrist bis Oktober

■ Pläne des Verkehrssenators, die Straßen bis zur Sommerpause umzubenennen, scheitern an der Europa- und Bundestagswahl

Bei der geplanten Umbenennung der umstrittenen Ostberliner Straßen wird Verkehrssenator Herwig Haases selbstgesteckter Zeitplan durch das Superwahljahr außer Kraft gesetzt. Noch bis zur Sommerpause des Abgeordnetenhauses am 27. Juni könnten die alten Schilder bereits durch neue ersetzt sein, meinte der CDU-Politiker gestern bei der Präsentation des Abschlußberichts der Unabhängigen Kommission zur Straßenumbenennung. Daraus wird allerdings vorerst nichts werden.

Wegen der anstehenden Europawahl am 12. Juni und der damit zusammenhängenden Verschickung von Wahlbenachrichtigungen sind die Umbenennungen zwischen dem 25. März und dem 25. Juni ausgeschlossen, war gestern aus dem Büro des Landeswahlleiters zu erfahren.

„Straßenschilder können ab dem 15. Juli bis zum 1. August ausgetauscht werden“, erklärte Wolfgang Schröder, dortiger Hauptsacharbeiter. Danach gelte dann wiederum wegen der Bundestagswahl am 16. Oktober eine Umbenennungssperre. Mit dieser Maßnahme will man ein Adressenchaos sowie zeitliche Verzögerungen bei der Zustellung der Wahlbenachrichtigungen verhindern.

Insgesamt sollen nach dem Votum der siebenköpfigen Kommission elf Straßen in Ostberlin einen neuen Namen erhalten. Zum Teil werden sie wieder rückbenannt, in einigen Straßenabschnitten erfolgen auch Neubenennungen (siehe nebenstehender Kasten). „Das Zentrum der Bundeshauptstadt darf nicht den Stempel des Geschichtsbildes einer Partei tragen, sondern muß pluralistisch gestaltet sein“, meinte der Historiker der Humboldt-Universität, Heinrich August Winkler. Straßen, die nach kommunistischen Widerstandskämpfern benannt sind, werde es aber auch weiterhin geben.

Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) drohte, der Senat werde sich einschalten, wenn es zu Ablehnung in den Bezirken komme. Befürwortet wurden von der Kommission insbesondere Vorkämpfer des Rechtsstaates im 19. Jahrhundert und Verteidiger der Weimarer Republik. Letzere seien auch in der Bundesrepublik nicht entsprechend gewürdigt worden, erklärte Winkler. Mit Hegel und Schinkel werden auch zwei Männer geehrt, deren Bedeutung Berlin bisher, was die Straßennamen angeht, nicht gerecht geworden sei.

Der Historiker regte an, auch den Westteil der Stadt bei der Diskussion um neue Straßennamen nicht auszusparen. Ein Mann wie der letzte Reichspräsident Hindenburg, nach dem eine Straße in Steglitz benannt sei, habe durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit zum Ende der Weimarer Republik beigetragen. Winkler regte an, im Westteil der Stadt jene Flieger zu ehren, die bei der Blockade Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen. Ebenso gehörten die Namen von Männern und Frauen auf Straßenschilder, die jüdische Mitbürger während des Dritten Reiches versteckten. Severin Weiland