■ Ein Pharmakonzern macht sich in Bonn unbeliebt:
: „Da helfen nicht mal meine Pillen“

Berlin (taz) – Bundestagsabgeordnete sind empfindsame Menschen. Sie lassen zwar im politischen Alltag manchmal das nötige Feingefühl vermissen, reagieren aber um so empfindlicher, wenn sie das Gefühl haben, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit könnte Schaden nehmen. Daß für eine Schädigung dieses Ansehens nach Meinung der Bonner natürlich immer nur andere verantwortlich sind und nicht das Verhalten der Volksvertreter selbst, wirft ein bezeichnendes Licht auf deren Realitätssicht. Wer sich mit den MdBs und ihrer Gralshüterin Rita Süssmuth anlegt, bekommt dann schon mal einen Brief, in dem er sich sagen lassen muß, seine Methode sei die der Polemik: den Deutschen Bundestag niedermachen und mit den geschürten Emotionen Geld verdienen wollen. Das schrieb die Präsidentin des Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen an Günther J. Schmidt, den Vorstandsvorsitzenden des Münchner Pillendrehers Togal.

Nun versteht sich die Bundesregierung eigentlich ganz gut mit Deutschlands Unternehmern, aber Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. In der Ausgabe 24/93 des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel erscheint eine ganzseitige Anzeige, in der jener Herr Schmidt feststellt, daß „wenn ein leitender Angestellter wichtige Sachverhalte verschweigt, mehr Geld ausgibt, als in der Kasse ist, Fehlinvestitionen in Millionenhöhe vornimmt, auf Geschäftskosten Privatreisen durchführt“, dieser dafür zur Verantwortung gezogen und gefeuert werde. Wenn nun aber „gewisse leitende Staatsdiener ähnlich verfahren, bleiben sie in Amt und Würden, werden sie befördert, treten sie aus gesundheitlichen Gründen zurück, werden sie in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, bei hohen Pensionsansprüchen und drei Monaten Gehaltsfortzahlung“.

Da Herr Schmidt dies als Ungerechtigkeit empfindet, fordert er „gleiches Recht für alle“ und setzt seine Unterschrift sowie das Firmenlogo unter das Ganze. In drei weiteren Ausgaben des Spiegel erscheinen ähnliche Anzeigen, wobei die letzte, in Ausgabe 30/93 erschienene, den angeblich über 500.000 Mark teuren Umbau der neuen Bundestagsbar kritisiert und mit den resignierten Worten Schmidts schließt, „gegen diese Art von Schmerzverursachung helfen mir nicht einmal mehr meine Tabletten“.

Schon vorher, am 1. Juli 1993, war der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause vom Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers auf die „das Ansehen der Abgeordneten und des Parlamentes“ schädigenden Anzeigen aufmerksam gemacht worden, woraufhin Bundestagspräsidentin Süssmuth eine Prüfung der Angelegenheit zusagte.

Ende Juli trifft dann in der Zentrale des Pharmakonzerns ein Brief ein, in dem Frau Süssmuth beklagt, Herr Schmidt wolle „eine Stimmung des Mißmuts und der Vorurteile gegenüber Politikern“ erzeugen und diese dazu benutzen, für seine Firma und deren Produkt zu werben. Das sei nicht hinnehmbar, weshalb sie sich an die zuständige Industrie- und Handelskammer gewandt habe. In der Folge erreicht die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs eine einstweilige Verfügung gegen Togal, die die weitere Werbung mit den beanstandeten Anzeigen untersagt. Klar, daß Schmidt das nicht auf sich sitzen lassen wollte und Berufung einlegte – mit Erfolg! Am 3. Februar verkündet das Münchner Oberlandesgericht sein Urteil, das Togal verbietet, wie in der vierten und letzten Anzeige politische Aussagen mit einem Hinweis auf die Kopfschmerztabletten der Firma zu verbinden. Das Gericht ist der Meinung, daß „gerade solche scherzhaften mit negativer Abgrenzung versehenen Formulierungen [...] durch ihre gaghafte Fassung [...] eine besondere Werbewirksamkeit“ entfalten. Gleichzeitig stellt es aber unter Berufung auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit fest, daß es an den ersten drei Anzeigen nichts auszusetzen gebe. Diese, so das Gericht, enthielten weder „Schmähkritik“ noch „Verletzungen“. Der Vorstand von Togal bringe lediglich „seine Sorge um politische, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Belange der Allgemeinheit zum Ausdruck“.

Zu der von Frau Süssmuth gewünschten Maßregelung meint das Gericht, sofern die Werbung nicht gegen konkrete Normen des Wettbewerbsrechtes verstoße, sei eine solche Einengung der Werbemöglichkeiten aufgrund der freiheitlich demokratische Grundsätze unserer Rechtsordnung nicht gerechtfertigt. Der Kläger, die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, bekommt drei Viertel der Verfahrenskosten aufgebrummt und Frau Süssmuth somit eine dicke Ohrfeige verpaßt.

Und jetzt, seinen Sieg voll auskosten wollend, setzt Togal-Chef Schmidt noch einen drauf. Am 28. Februar erscheint im Spiegel ein offener Brief an Frau Süssmuth, in dem Schmidt sie von dem Urteil in Kenntnis setzt und seine Freude darüber zum Ausdruck bringt, daß der Artikel 5 des Grundgesetzes auch für ihn gilt.

Das Ende der Geschichte? Nein. Am 8. März schreibt die Bundestagspräsidentin wiederum an Schmidt, in dem sie mit der oben bereits zitierten Äußerung „...den Deutschen Bundestag niedermachen und damit Geld verdienen“ brilliert und feststellt, daß er, Schmidt, mit seinen Anzeigen „Verdruß an Parlament und Politik“ hervorrufe. Wie war das gleich mit Ursache und Wirkung? Joachim Hiller