Wenn überall "dasselbe drinsteht"

■ Nach 50 Jahren: In Marokko soll Journalismus nicht länger als Spionage gelten

Von Justus Becker

Nach einem halben Jahrhundert brechen für die Journalisten in Marokko zumindest in rechtlicher Hinsicht neue Zeiten an: Nach mehreren Anläufen ist nun endlich das marokkanische Parlament dazu aufgerufen, die Rechtsgrundlage der Medien und des Journalismus zu modernisieren. Die Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes steht im Frühjahr bevor. Nach einem halben Jahrhundert sollen damit die Regelungen aus der Zeit des französischen Protektorates abgelöst werden.

Auf diesen Moment freuen sich Tausende marokkanischer Journalisten, die für die über 400 Zeitungen und Zeitschriften, die beiden nationalen, staatlichen Fernsehsender (RTM), den privaten TV- Kanal (2M) oder die zwei staatlichen Radiostationen arbeiten. Sie plagen sich bislang mit überaus strikten und peniblen Vorschriften, sogenannten „Dahirs“, herum, die aus den Jahren 1940 und 1942 stammen und „in der französischen Zone des Cherifen-Reiches“ bis heute Geltung haben.

Um nur einige zu nennen: Drehbücher und das komplette Filmmaterial muß den Behörden zur Kontrolle vorgelegt, das Filmen und Fotografieren muß sogar mit Angabe des Motivs beantragt werden.

Schreiben auf Bewährung

Mit Pressearbeit ist nichts zu verdienen. Journalisten haben meist keinerlei ökonomische Grundlage. So empfindet man es als völlig normal, daß MitarbeiterInnen ohne Honorar schreiben und sich in einem jahrelangen „Bewährungsverhältnis“ gegenüber mehreren Zeitungen befinden.

Auch die finanzielle Ausstattung der mehr als 400 Druckerzeugnisse (zwei Drittel arabisch, ein Drittel französisch) ist meist miserabel. Angesichts der niedrigen Kaufkraft der Bevölkerung (930 US-Dollar im Jahr 1992), den offiziell 45 Prozent Analphabeten und der hohen Arbeitslosigkeit (etwa 30 Prozent) mag dies jedoch kaum überraschen.

Ebenso problematisch ist, daß es keine festen Vertriebs- und Kontrollstrukturen gibt. Ein großer Teil der täglichen Auflage wird von arbeitslosen „Kleinunternehmern“ für einen Bruchteil des Kaufpreises in Cafés und auf der Straße „vermietet“.

Da Informationen Mangelware sind, haben die Presseleute in Marokko eigene Methoden in der Berichterstattung entwickelt: Gerüchte werden auf ihren möglichen Wahrheitsgehalt hin überprüft und im Zeitungsartikel kurzerhand ohne Namensnennung oder konkrete Angaben als Satire niedergeschrieben.

Doch bald wird hoffentlich manches anders: Die Gesetzentwürfe forden, daß die Parlamentarier den Status eines Berufsjournalisten schaffen. Als Inhaber eines Journalistenausweises, den eine Kommission – so Gott will – verleiht, garantiert dieser Ausweis „Gewissensfreiheit“ und das „Recht auf Zugang zu Informationen“. Dies kommt in Marokko einer kleinen Revolution gleich, da untersuchender Journalismus bisher immer als die Vorstufe der Spionage gewertet wurde.

Auch soll mit dem neuen Mediengesetz das „Recht auf Information“ durch öffentliche Stellen mit der Einsetzung von Presseattachés in den Ministerien geregelt werden.

Die Gründung eines überwachenden Rates für Massenmedien (Observatoire national des médias), unter anderem mit der Durchführung von Meinungsumfragen beauftragt, und die Einsetzung eines Obersten Rates für Nachrichtenübermittlung (Conseil supérieur de l'information) empfinden viele Journalisten zwar als subtilen Versuch des Staates, die Kontrolle zu behalten, aber wenn die Zusammensetzung der oben genannten Räte bzw. Gremien paritätisch geregelt wird, ist eine allgemeine Zustimmung gewiß.

Da die Medienprobleme in Marokko aber nicht allein rechtlicher Natur sind, kann die längst überfällige Änderung der Rechtsgrundlagen nur das Gerüst einer Erneuerung bilden. Und erst das Ende der bisherigen, auf Angst beruhenden „freiwilligen Selbstkontrolle“ der Journalisten wird der Presselandschaft Vielfalt geben: Damit nicht mehr „überall dasselbe drinsteht“. Bis zu diesem Zeitpunkt werden wohl weiterhin Hunderttausende von Parabolantennen, die mittlerweile jedes bessere Hausdach schmücken, das traditionell mehrsprachige Land (arabisch/berber/ französisch) über das internationale Geschehen informieren müssen.