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So tun als ob

Tadellos uraufgeführt: Genets eher langweilige Gangster- komödie „Splendid's“ an der Schaubühne  ■ Von Ina Hartwig

Eigentlich sollte „Splendid's“, Genets 1948 entstandene Gangsterkomödie, schon 1949 veröffentlicht werden; doch die Nummer der dafür vorgesehenen Zeitschrift ist nie erschienen. Die Nichtveröffentlichung fiel mit der legendären Begnadigung Genets durch den damaligen französischen Präsidenten Auriol zusammen. Genet war 1949, plötzlich und offiziell, kein Verbrecher mehr. Er zerriß das Manuskript von „Splendid's“. Daß der in Genets Gaunertum sehr verliebte Sartre das Stück bewunderte, änderte an Genets richtiger Entscheidung nichts.

Eine Kopie zumindest muß aber übriggeblieben sein, denn letztes Jahr, sieben Jahre nach Genets Tod, ist „Splendid's“ doch noch erschienen. Die Welturaufführung müssen wir nun in einer präzisen Inszenierung von Klaus Michael Grüber und einer um Schwung bemühten Übersetzung von Peter Handke in der Berliner Schaubühne erleiden.

Hätte Genet nicht – gerade in der Zeit, in der auch „Splendid's“ entstand – so außergewöhnliche Romane verfaßt, alles wäre halb so schlimm. Aber eben weil Genets Prosa unvergleichlich reich, unverschämt und geistreich ist, schmerzt der Vergleich mit seinem zähen, mühsamen Theater. Vielleicht hat Genet seine Stücke überhaupt in erster Linie aus Geldgründen geschrieben. Fest steht jedenfalls, daß (mit Ausnahme der Gedichte) alle von ihm im Laufe der Jahre ausprobierten Genres, sogar seine Theatertheorie, unterhaltsamer sind als sein Theater. Ganz Schelm, gibt Genet zu: „Ich bin praktisch nie im Theater gewesen.“ Sein eigenes nennt er, nicht ohne Augenzwinkern, „unbeholfen“.

Klaus Michael Grüber hat aus „Splendid's“ ohne Zweifel viel herausgeholt. Er hatte auch gute Hilfe. Daß der öde Zweiakter tatsächlich etwas zu glitzern beginnt in dieser Aufführung, liegt nicht zuletzt an dem kühnen, eleganten Bühnenbild von Eduardo Arroyo. In unseren Kreisen pflegt man Blumentapeten ja abzulehnen; die von Arroyo sind herrlich: Riesige blaßblaue und rote, transparente, ineinander gewürfelte Margeritenformen auf einem Gazetuch, das in einigem Abstand vor die Wand gespannt wurde; ein Schattenspiel verdoppelt das Muster. Riesig – so riesig, wie man es in den schlimmsten Alpträumen nicht ersinnt – ist auch der Kronleuchter, der, nur halb zu sehen, drohend in der Mitte herunterhängt. Mit Ausnahme der surrealisierenden Größe einiger Objekte (Champagnerflasche, Türen, Leuchter, Muster, Kaffeeservice) hat Arroyo sich, was die Raumgestaltung betrifft, relativ streng an Genets Bühnenanweisung gehalten: „Rechts und links die Türen zu den Zimmern. An der hinteren Wand Fenster, die auf einen Balkon hinausgehen. Lüster. Luxus. Teppich.“

Wir befinden uns – die ganzen anderthalb Stunden der Vorstellung – in der siebten Etage eines Grandhotels namens „Splendid's“. Sieben Gangster haben sich darin, samt einem übergelaufenen Polizisten und einer Frauenleiche, verbarrikadiert. Draußen warten Polizei und Feuerwehr, um das Gebäude zu stürmen. Ihr Licht blinkt aufgeregt.

Wie Sartres „Huis Clos“ oder Genets „Balcon“ spielt sich „Splendid's“ in einem Raum ab, der nicht verlassen wird. Der einzige Kontakt zur Außenwelt: ein schrillgrün leuchtendes Radio, dessen nervöse Stimme (Liebgart Schwarz) den Stand der Dinge rapportiert. Die reiche amerikanische Mademoiselle – man erfährt es nach und nach – wurde zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt, ihr „versehentlicher“ Tod vereitelt den Coup. Man kann sie ja nun nicht mehr zurückgeben. Das einzige, was den Verbrechern mit den cineastischen, krimihaften Namen bleibt, ist: so zu tun, als lebe sie noch. Sie schicken einen von ihnen als Frau verkleidet auf den Balkon. Aber das beschert der Bande auch nur zwei Stunden Aufschub des unabwendbaren Endes. Sie sind in der Falle.

Was also tun Jean, genannt Jonny, Riton, Scott, Bob, Rafale, Bravo und Pierrot? Sie streiten. Und dabei tänzeln und schreiten sie zu leisen Cha-Cha-Cha-, Walzer- und Jazzrhythmen aus dem schrabbeligen Radio, jeder auf seine Weise, (fast) jeder im – den Verbrecher oh so verfremdenden – Frack. Jonny (Sylvester Groth), der zunächst etwas drahtig Verbissene, und Riton (Ben Becker), der mit der Amerikanerin ein kurzes Verhältnis hatte, buhlen um die Führung der Gang. Scott (Peter Simonischek) geht papahaft, unaufhörlich Zigarre paffend umher und faselt davon, höflich zu bleiben. Bob (Sven Walser), der eloquent, aber nervend quengelt, und Pierrot (Ulrich Matthes), der um seinen Bruder trauert, sind die schwulen Typen des Sets – und die einzigen, die keine Maschinengewehre tragen. Eine tadellose Choreographie. Leider langweilig.

Wer unbedingt will, kann, was gemeinhin als typisch für Genet gilt, durchaus entdecken: Glorie des Verbrechers, Inversion der Argumentation, Maskerade. Doch veritable Positionen sind in den müden Gaunerdialogen kaum erkennbar, bleiben blaß.

Stark ist Genet, wenn er psychologisch nach innen blickt. Die theatralischen Dialoge in seinen Romanen entfalten ihre Wirksamkeit vor dem Hintergrund der Binnensicht. Im Theater jedoch benutzt er nur ein Sprechen nach außen: zu den anderen, nicht zu sich selbst. Auf diese Weise wirkt alles pompöser, sichtbarer. Die Verkleidung muß als Verkleidung gezeigt werden; im Roman dagegen beschäftigt Genet das unsichtbare Verhältnis zum Sichtbaren am Körper.

Jonnys Auftritt in den Kleidern der Toten inszeniert Grüber als Schock. Damit entgeht er klug der üblichen Schickimicki-Travestie. „Es lebe die Königin“, ruft zynisch einer, als Jonny, begleitet von Mozarts „Requiem“, auf den Balkon tritt, um der Menge das falsche Lebenszeichen der Millionärstochter zu geben. Es ist das Herzstück von „Splendid's“: Beerdigungsfest, pompes funèbres, für alle: die Amerikanerin, die Ganoven – und auch für die männliche Geschlechtsrolle, die Jonny an den Nagel hängt.

Schon zu Beginn sorgt der Bulle (Thomas Thieme) als fispelnder Verdi-Sänger für wenigstens etwas Schmunzeln. Schwabbelig, tumb und naiv, läuft er am Ende zu Hochform auf. Richtig schön eklig macht er sich über Jonnys kräftige Schulter her. Schmatz. Munter geworden, faßt er Jonny ins wallende Kleid directement ans Genital. „Ihr seid allesamt Waschlappen“, beschließt der Flic, als er sieht, daß sich die Ganoven, von deren Verbrecherimage er eigentlich etwas abkriegen wollte, den „Luxus der Feigheit“ leisten und ihre MGs dem Teppich anvertrauen. Nun hat er die bösen Kerle also in seiner Gewalt und röhrt über die Balkonbrüstung, der dumme Junge.

PS.: Fummelparties und Cowboyspiele passen schlecht zusammen.

Jean Genet: „Splendid's“. Regie: Klaus Michael Grüber, Bühne: Eduardo Arroyo. Mit Sylvester Groth, Peter Simonischek, Thomas Thieme, Sven Walser, Wolfgang Michael, Cornelius Obonya, Ben Becker, Ulrich Matthes. Berliner Schaubühne, weitere Vorstellungen, jeweils 20 Uhr: 25. März sowie 1., 8., 9., 16., 17., 19. und 20. April.

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