Bulgarische Gratwanderungen

■ Die „16. Sowjetrepublik“ und ihre Außenpolitik der „aktiven Neutralität“

Als der bulgarische Präsident Schelju Schelew Mitte Februar das Nato-Partnerschaftsabkommen unterzeichnete, beschrieb er die Haltung seines Landes zu den Konflikten auf dem Balkan als „aktive Neutralität“. Bereits kurz danach, konnte Sofia an einem praktischen Beispiel zeigen, was es unter dieser seit langem vorgetragenen Linie seiner Außenpolitik versteht. Nur Stunden nachdem Griechenland das Embargo gegen Makedonien ausgerufen hatte, kündigten Offizielle in Sofia an, den Schwarzmeerhafen Burgas für Warenlieferungen in die exjugoslawische Republik bereitzustellen. Mit dem Begriff „aktive Neutralität“ ist dieser Schritt allerdings nur schlecht charakterisiert, und noch weniger mit dessen Präzisierung „politische Zurückhaltung“. Wie in vielen Fällen haben die Veränderungen nach 1989 auch die jahrzehntelang konservierte „Makedonien-Frage“ neu aufgeworfen: Im San-Stefano-Frieden (1878) bekam Bulgarien den größten Teil Makedoniens zugesprochen, wurde für kurze Zeit – mit der Süddobrudscha sowie Teilen Thrakiens – zu einem Groß-Bulgarien und noch im selben Jahr, während des Berliner Kongresses, auf die Hälfte seiner Fläche beschnitten. Makedonien war seither ein Zankapfel zwischen Serbien, Griechenland und Bulgarien.

Obwohl Bulgarien im Januar 1992 als erster Staat das unabhängige Makedonien anerkannte, bestreiten seine Offiziellen die Existenz eines makedonischen Volkes. Die Makedonier, so heißt es, seien letztlich Bulgaren. Zwar wird immer wieder bekräftigt, Bulgarien hege keine territorialen Ansprüche, was auf andere (womit Griechenland gemeint ist) nicht zutreffe. Die Grenzen auf dem Balkan seien vom Westen einst künstlich geändert worden, doch Bulgarien habe sich damit abgefunden. Angespielt wird damit auf die Politik der Westmächte Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts, bei der die Grenzen der Balkanstaaten nach fremden Interessen und ohne Rücksicht auf die dortigen Völker und Minderheiten gezogen wurden. Im Gegensatz zu diesen Bekundungen steht die konfrontative Haltung, die gegenüber dem makedonischen Präsidenten Kiro Gligorov und seiner „antibulgarischen Einstellung“ eingenommen wird. Erklärt wird sie mit der Absicht, Makedonien zur „Anerkennung des bulgarischen Elementes“ zu zwingen. Auf welchem Weg das geschehen könnte, zeigt die schnelle Öffnung des bulgarischen Schwarzmeerhafens Burgas für Makedonien: eine enge ökonomische Anbindung. Mazedonien wird solche Angebote mit Blick auf seine wirtschaftliche Situation kaum verweigern können; immerhin ist Bulgarien von allen „schlechten“ Nachbarn der akzeptabelste.

Der Grat, auf dem sich Bulgarien mit dieser Politik gegenüber Griechenland bewegt, ist schmal. Nach der jahrelangen freundschaftlichen Allianz, die zum größten Teil auf der antitürkischen Einstellung beider Länder gewachsen war, verschlechterten sich die Beziehungen mit dem Aufkommen der „Makedonien-Frage“ schlagartig. Auch wenn Griechenland für Bulgarien nach Rußland und der BRD zum drittwichtigsten Handelspartner geworden ist, so kommt es doch immer wieder zu diplomatischen Verstimmungen, nicht nur wegen Makedonien. Bulgarien hat nach 1989 begonnen, sich vorsichtig für die bulgarische Minderheit in Griechenland einzusetzen, die dort als „slawophone Griechen“ bezeichnet werden.

Ähnliche Gratwanderungen vollzieht die bulgarische Außenpolitik auch gegenüber anderen Balkanländern, dabei zum großen Teil beeinflußt von dem Gefühl, als ständiger Verlierer der Geschichte dazustehen. Die 500jährige osmanische Herrschaft hat ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Türkei und der türkischen Minderheit in Bulgarien hinterlassen, das auch die Haltung vieler Menschen zum Krieg in Bosnien beeinflußt. Dem Westen wird vorgeworfen, einseitig gegen Serbien Stellung zu beziehen und die muslimische Hegemonie auf dem Balkan nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Als „großtürkischer Ambitionen“ und Einmischung in ihre Minderheitenpolitik sieht Sofia auch solche Projekte wie das türkische Kooperationsangebot an die Schwarzmeerstaaten. Unklar bleibt ebenso die außenpolitische Linie gegenüber Rußland, wo Bulgarien einst als „16. Sowjetrepublik“ galt. Einerseits zieht die Regierung die russische Bedrohung als Argument für eine bevorzugte Behandlung seitens der Nato heran. Andererseits hat sie die kürzlichen Initiativen Moskaus in Bosnien als wichtigen Beitrag zur Stabilisierung auf dem Balkan begrüßt und lehnt jegliche militärische Aktionen von außen ab.

Manche bulgarische Oppositionspolitiker glauben denn auch, die herrschenden Ex-Kommunisten würden der „neuen russischen Expansionspolitik“ in ihrem Land Vorschub leisten. An die Adresse des Westens geht dabei ihre Kritik, daß sich dessen Institutionen wie EU und Nato zu sehr von eigenen, kurzsichtigen Interessen leiten ließen. Statt eines gemeinsamen Europas werde eine neue Mauer zwischen Ost und West errichtet, die an der Grenze zwischen den protestantisch/katholischen und den orthodoxen Ländern verlaufe. Keno Verseck