Kein Rabatt zum Fest der Demokratie

In Tunesien wird am Sonntag ein neues Parlament und ein alter Präsident gewählt  ■ Aus Tunis Khalil Abied

Tunis Al Khadra – das grüne Tunesien – feiert ein Fest der Demokratie.“ So jedenfalls steht es auf Tausenden von Plakatwänden, Postern und Transparenten zu lesen, mit denen die tunesische Hauptstadt in diesen Tagen dekoriert ist. Die Schlagzeilen der regimetreuen Tageszeitungen prophezeien den Bewohnern des Landes eine glückliche Zukunft. Auch im Fernsehen und im Rundfunk wird man stündlich daran erinnert, daß Tunesien ein Fest feiert. Gemeint sind die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Zum ersten Mal haben auch einige Kandidaten der Opposition Aussichten auf Parlamentssitze. Vor zwei Wochen wurde der Wahlkampf eröffnet, am kommenden Sonntag soll gewählt werden.

Zumindest bei Präsidentschaftswahlen haben es die dreieinhalb Millionen Wähler nicht schwer. Es gibt nur einen Kandidaten: das ist Tunesiens amtierender Präsident Zein Al-Abidin Ben Ali, der „Vorzügliche“, wie sein Vorname „Zein“ besagt. Bei den Parlamentswahlen hingegen bewerben sich 623 Kandidaten von sieben Parteien um 163 Sitze. Neben der Regierungspartei „Demokratische Konstitutionelle Versammlung“ beteiligen sich weitere sechs offiziell als Opposition zugelassene Parteien. Die größten unter ihnen sind die „Demokratischen Sozialisten“ und die „Partei der Erneuerung“ – die ehemalige Kommunistische Partei. Al-Nahda, die Organisation der tunesischen Islamisten, bleibt ausgeschlossen. Gegen ihre Anhänger werden immer wieder schwere Menschenrechtsverstöße bekannt.

„Zein“ – „vorzüglich“, finde er den Wahlkampf, sagt mein Tischnachbar spöttisch. Wir sitzen im Al-Zeytuna-Café, mitten im berühmten Bazar von Tunis. Der Geschäftsmann, vielleicht Mitte Vierzig, lehnt sich zurück und nimmt langsam einen tiefen Zug aus seiner Wasserpfeife. „Die Wahlergebnisse werden sein wie dieser Rauch“, sagt er und blickt dem aufsteigenden Qualm nach.

Draußen auf der Straße drängen sich Einheimische und Touristen. Die Bazaris sprechen in ihren wunderlichen radebrechenden Idiomen mit den Fremden, neben Arabisch sind englische, französische und deutsche Wortfetzen zu hören. Die Ladenbesitzer wenden alle Überzeugungskraft auf, um die Besucher von den besonderen Vorzügen ihrer Teppiche, Decken, Kupfergeschirre und Lederwaren zu überzeugen. „Ein Preisabschlag zum Fest der Demokratie?“ fragt ein Verkäufer lachend, „den kann ich Ihnen nicht geben. Unsere Preise stehen genauso fest wie die Wahlergebnisse.“

Es sind Wahlen, deren Ausgang die Wähler schon jetzt kennen. 144 Sitze für die Regierung und 19 für die Opposition, da sind sich alle sicher. Woher sie diese Gewißheit nehmen? „Das liegt am Wahlgesetz“, erklärt ein tunesischer Intellektueller. Nach diesem Gesetz werden die Wahlen nach einem doppelten System geführt: nach relativer und nach absoluter Mehrheit. Die Provinzen bildeten jeweils einen Wahlkreis, die Städte Tunis und Safakis jeweils zwei. In den 25 Provinzen werden die Sitze nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit verteilt. Diese 144 Sitze werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alle an die Regierungspartei gehen. Nur die verbleibenden 19 Sitze werden nach dem Prinzip der proportionalen Mehrheit unter den Oppositionsparteien verteilt.

Die Begründung dafür ist beeindruckend schlicht: „Nach den Regeln der Vernunft und der Weisheit muß unsere Partei die absolute Mehrheit der Parlamentssitze bekommen“, findet Hatem Ben-Othman, der stellvertretende Generalsekretär der „Konstitutionellen Versammlung“, der für Fragen der Organisation zuständig ist. „Schließlich sind wir die größte Partei des Landes.“ Und als fühle er, daß seine Argumente noch etwas mehr Gewicht bräuchten, fügt er hinzu: „Wir haben 1,7 Millionen Mitglieder. Wir sind die Partei der Veränderung und der Zukunft. Und wir haben das historische und politische Erbe der Konstitutionellen Sozialistischen Partei unter den früheren Präsidenten Habib Ben Bourguiba angetreten, die unser Land 1956 in die Unabhängigkeit geführt hat und es bis zur Korrekturbewegung vom 7. November 1987 regierte.“

In Tunesien gilt dieser 7. November als Beginn einer neuen „Etappe“. An jenem Tag veröffentlichte der heute regierende Präsident und feststehende Wahlgewinner Ben Ali, damals Premierminister, eine Erklärung, nach der Präsident Bourguiba gesundheitlich nicht mehr fähig sei, die Regierungsgeschäfte zu führen. Ben Ali übernahm danach verfassungsgemäß die Nachfolge.

Ihrem alten Präsidenten Bourguiba trauern viele Tunesier noch heute nach. Er gilt ihnen als aufgeklärter Reformer, der eine liberale Verfassung und Gesetzgebung durchsetzte. Doch in den letzten Jahren seiner Amtszeit hatte ihn ein – auch andernorts verbreitetes – Politikerleiden befallen: die Machtgier. Trotz Krankheit und hohen Alters lehnte er einen Rücktritt ab. Die Opposition wurde damals umfassender und brutaler unterdrückt als heute. Mehrere Aufstände und Brotkrawalle brachten das Land in den achtziger Jahren an den Rand des Zusammenbruchs. Das Einparteiensystem wurde zäh beibehalten. – Ben Ali, seit 1989 Präsident, konnte hingegen seither viele Pluspunkte sammeln. Wirtschaftsreformen und eine günstige Konjunkturlage haben die ökonomische Lage der Tunesier erheblich verbessert, die Korruption ist zurückgegangen. Innerhalb der Partei wurde die alte Garde weitgehend entmachtet. Ben Ali konnte vielen Tunesiern ein Gefühl von „Sicherheit und Stabilität“ geben. Die beiden in Europa abgenutzten Begriffe wirken in Tunesien noch immer wie Zauberwörter.

„Nur eine starke Armee und Sicherheitskräfte, die unter einem starken Präsidenten stehen, können uns Sicherheit und Stabilität bringen. Nur dann kommen viele Touristen, nur dann wird investiert, nur dann geht es uns einigermaßen gut. Welchen Wert hat denn Demokratie, wenn sie zum Chaos führt?“ regt sich der Taxifahrer auf, der mich vom Gebäude der Regierungspartei zu einem der Oppositionsbüros bringt. „Wenn ich unsere Lage mit der in unserem Nachbarland Algerien vergleiche, danke ich Gott, daß wir so einen starken Präsidenten haben.“ Ben Ali ist zweifellos populär, die meisten Leute können die Vielzahl der Ämter, die er schon innehatte, flüssig heruntersagen. Daß er nicht nur die Politik, sondern auch die Armee und den Geheimdienst von innen kennt, qualifiziert den 58jährigen in den Augen vieler Tunesier gerade für sein hohes Amt.

Auch alle zugelassenen Oppositionsparteien haben die Kandidatur von Ben Ali unterstützt. Ihre Parole lautet: „Gebt Ben Ali eure Stimme und die zweite uns.“ Warum sie keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt haben? Wieder wird das Wahlgesetz als Grund genannt. Der Kandidat müsse dreißig Unterschriften von Abgeordneten oder von Bürgermeistern haben, sagt ein Parteiensprecher, „die Regierungspartei hat aber alle Sitze im gegenwärtigen Parlament, und sie stellt auch alle Bürgermeister“. – Die Opposition hat einige Mühe, sich in diesem ersten Wahlkampf mit den Wählern bekanntzumachen. „Daß sie uns nicht kennen, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Unterdrückung“, sagt Ali Alali, führendes Mitglied der „Demokratischen Sozialisten“. „Diese Wahlen sind eine goldene Chance für uns.“

Die Entscheidung der Regierungspartei, der Opposition per Wahlgesetz 19 Sitze zu „schenken“, hält er für positiv. „In Algerien hat der Demokratisierungsprozeß zum Sieg der Fundamentalisten geführt, der Jemen ist durch die Demokratisierung an den Rand eines Stammeskrieges geraten. Deshalb werden wir keinen Konfrontationskurs gegen die Regierung fahren. Wir sind für eine allmähliche Veränderung, die unserem Land solche Katastrophen erspart.

Voller Stolz verweisen Mitglieder der Opposition darauf, daß die tunesische Menschenrechtsorganisation als Wahlbeobachterin zugelassen wurde. Sie hat von der Regierung die Genehmigung erhalten, den Wahlkampf und den Urnengang zu beobachten. „Natürlich können wir nicht an allen 13.800 Wahllokalen sein, wir werden uns an 200 Lokalen postieren“, sagt ein führendes Mitglied der Organisation. „Und die Parteien werden uns außerdem von ihren Erfahrungen berichten. Anschließend werden wir einen Bericht über die Wahlen veröffentlichen.“ Nach seiner Meinung ist die Atmosphäre bei diesen Wahlen sehr viel besser als bei denen 1989. „Damals“, so sagt er, „waren die Ergebnisse von A bis Z verfälscht. Aber wir werden sehen, was am Sonntag passiert. Das ist letztlich entscheidend.“