■ In Bosnien-Herzegowina entsteht ein neuer Staat
: Zweigeteilt statt dreigeteilt

Fast ein Jahr lang tobte zwischen bosnischen Muslimen und Kroaten Krieg – und nun allenthalben Szenen der Verbrüderung. Für die belagerten bosnischen Kroaten von Vitez und die eingeschlossenen Muslime von Mostar geht endlich die Hölle zu Ende. Der Krieg im Krieg ist vorbei. Die alten Fronten stehen wieder: die muslimisch dominierten bosnischen Regierungstruppen und die Verbände der Kroaten auf der einen Seite, die Truppen der bosnischen Serben auf der anderen. Noch ist unklar, was dieser Krieg im Krieg gekostet hat, wieviele Menschen getötet, vergewaltigt, verstümmelt oder vertrieben wurden.

Doch der Preis, der für den Frieden gezahlt wird und inzwischen wohl gezahlt werden muß, ist offensichtlich: Von einer multiethnischen souveränen Republik Bosnien-Herzegowina in ihren international anerkannten Grenzen wird endgültig Abschied genommen. Zwar wird nun die Bildung einer muslimisch-kroatischen Föderation, deren Verfassung heute in Washington unterzeichnet werden soll, gern als erster Schritt zur Wiederherstellung Bosnien-Herzegowinas verkauft, doch vieles spricht dafür, daß genau das Gegenteil eintritt. Die Zweiteilung der Republik wird mit den Unterschriften von Washington billigend in Kauf genommen. Niemand wird die bosnischen Serben dazu bringen, sich der Föderation ihrer Kriegsgegner anzuschließen, zumal die herzegowinischen Kroaten sich ihre Zustimmung zu derselben mit der Option auf eine Konföderation zwischen diesem muslimisch-kroatischen Rumpf-Bosnien und der Republik Kroatien bezahlen ließen. Weshalb aber sollten die bosnischen Serben einem Staatenbund beitreten, dessen politischer Schwerpunkt in Zagreb läge, wo der kroatische Nationalist Franjo Tudjman herrscht?

Der Vorschlag von Witali Tschurkin, Emissär des russischen Präsidenten, in einem wiedervereinigten Bosnien-Herzegowina könnten die Kantone der bosnischen Serben ja ihrerseits eine Konföderation mit Serbien und Montenegro eingehen – mithin eine Föderation, von der ein Teil mit dem Westen, der andere mit dem Osten konföderiert wäre –, taugt bestenfalls fürs diplomatische Reißbrett der inzwischen routinierten Kartenzeichner. Seine Realisierung setzt einen serbisch- kroatischen Ausgleich voraus, das heißt, den Verzicht auf irredentistische Forderungen und Anschlußoptionen und nicht zuletzt auch eine Lösung des Problems der serbisch besetzten Gebiete Kroatiens. Zwar könnte die politische und auch militärische Schwächung der bosnischen Serben durch die neueste Entwicklung einen solchen Ausgleich befördern, doch ein Abkommen, das die kroatische Souveränität über das eigene Territorium wiederherstellt, das zu mehr als einem Viertel von serbischen Milizen kontrolliert wird, liegt in weiter Ferne.

Der Krieg wird erstmal also weitergehen, schon allein deshalb, weil die muslimisch-kroatische Föderation mindestens 51 Prozent des Territoriums der Republik beansprucht und die Serben mindestens 70 Prozent desselben besetzt haben. Aber selbst der Frieden im Krieg, der den Krieg im Krieg nun ablöst, ist fragil. Über Anzahl und Grenzen der Kantone innerhalb der neuen Föderation wird weiterhin gestritten – zur Zeit am Verhandlungstisch, aber niemand kann ausschließen, daß dieser Streit schon bald wieder auf dem Feld ausgetragen wird. Zwar wird eine Machtaufteilung zwischen Föderation, zuständig für Außen- und Verteidigungspolitik, und Kantonen mit Polizei- und Bildungshoheit und anderes mehr angestrebt, doch sollen die Kantone nach ethnisch-religiösen Kriterien formiert werden. Es wird muslimische und kroatische Kantone geben und deshalb Probleme für die kroatischen Minderheiten in diesen und für die muslimischen Minderheiten in jenen.

Der projektierte Rumpfstaat ist also nicht nur eine Absage an die Wiederherstellung Bosnien-Herzegowinas in seinen international anerkannten Grenzen, sondern auch eine Absage an seine Wiederherstellung als multiethnischer, multikultureller, multireligiöser Staat von Bürgern im Sinne von Citoyens. Souverän ist dann letztlich eben je nach Kanton der katholische Kroate oder der Muslim, nicht aber mehr der Bürger schlechthin. Die ethnische Zugehörigkeit mag im Alltag eine wichtige Rolle spielen – und heute leider bestimmt mehr als vor zwei Jahren. Daß sie aber als strukturierendes Element in die Konzeption des Staates selbst Einzug hält, ist fatal. Die verfassungsmäßige Verbriefung von Minderheitsrechten kann die dadurch entstehenden Probleme bestenfalls mindern.

Angesichts des Schreckens der letzten zwei Jahre mag die Bildung einer aus ethnisch definierten Kantonen bestehenden Rumpfrepublik inzwischen als beste aller schlechten Lösungen erscheinen. Just daran aber hat der Westen, repräsentiert durch UNO und EG, maßgeblich schuld. Nicht nur weil die Chancen verpaßt worden sind, mit einer militärischen Intervention Zeichen zu setzen und die Dynamik des Krieges zu brechen, die nun immer deutlicher nur noch die Wahl zwischen großen und noch größeren Übeln übrigläßt. Die Vermittler von UNO und EG (heute EU) haben von Anfang an auf eine nach ethnischen Kriterien strukturierte Republik hingearbeitet und schließlich ihrem explizit auf der Londoner Konferenz vom August 1991 erteilten Auftrag zum Trotz die Dreiteilung der Republik betrieben. Doch all dies ist inzwischen Geschichte, skandalöse Geschichte westlicher Diplomatie und Politik.

Nun wird es statt der Dreiteilung vermutlich wenigstens nur eine Zweiteilung geben. Für weite Gebiete Zentralbosniens mag damit der Krieg endlich zu Ende gehen. Das ist allemal zu begrüßen. Um Maglaj, Bihać aber wird heute weiter gekämpft, und morgen um andere Städte. Aber selbst wenn sich die UNO dazu aufraffen könnte, das im Fall Sarajevo erfolgreiche Rezept auch anderswo anzuwenden, ist die Kriegsgefahr noch lange nicht gebannt. Spätestens wenn es zu einer Konföderation zwischen dem muslimisch-kroatischen Rumpf-Bosnien und der Republik Kroatien kommt, wird ein altes Problem wieder auf der Tagesordnung stehen: Seit über zwei Jahren halten serbische Milizen die Krajina und Ostslawonien, beides Territorien innerhalb der international anerkannten Grenzen Kroatiens, besetzt.

Dort wurden zwar Blauhelme stationiert. Doch ihren Auftrag – Entwaffnung der Milizen und Rückführung der Vertriebenen – haben sie nicht einmal im Ansatz ausgeführt. Wer aber sollte das kroatische Regime daran hindern, sich auf militärischem Weg zu holen, was ihm nach internationalem Recht zusteht? Anders als vor zwei Jahren hat Kroatien heute eine respektable Armee. Serbien ist militärisch zwar stärker, liegt aber wirtschaftlich am Boden. Ob Tschurkins neueste Initiative zu einem Dialog über die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens die Lage entschärfen kann, steht in den Sternen. Das Mandat der UNO für die sogenannten Schutzzonen in Kroatien läuft in zwei Wochen, Ende März, aus. Thomas Schmid