Wahlkampf ohne Erinnerung

In Mölln will sich niemand mehr mit den Brandmorden auseinandersetzen / Bei den Kommunalwahlen am Sonntag werden wieder Rechtsextreme kandidieren  ■ Von Kerstin Kampe

Die NPD kandidiert zwar nicht für den Möllner Stadtrat, aber für das Kreisparlament des Herzogtums Lauenburg hat die rechtsextremistische Partei zur Kommunalwahl in Mölln drei Direktkandidaten aufgestellt. Einer von ihnen ist Heinrich Förster, der Kreisvorsitzende. Im September 1993 hatte die Staatsanwaltschaft Schwerin wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Brandstiftung gegen ihn Anklage erhoben. Förster soll einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim bei Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern im Juli 1992 geplant haben. Ob und wann das Verfahren vor der Schwurgerichtskammer in Schwerin eröffnet wird, steht nach Angaben eines Gerichtssprechers noch nicht fest. Auch einer der beiden Mörder von Mölln, Michael Peters, war einige Zeit Mitglied der NPD in Mölln. Peters war im Dezember 1993 vom Oberlandesgericht in Schleswig zur 15 Jahren Haft wegen der Brandanschläge im November 1992 verurteilt worden. Dabei waren die 51jährige Bahide Arslan und ihre Enkelinnen Ayze Yilmaz und Yeliz Arslan ums Leben gekommen.

Nur wenige Möllner haben die Kandidatur der NPD zur Kenntnis genommen. An Straßenbäumen und Lichtmasten sind ihre Plakate nicht zu entdecken. „Ach, die Rechten kandidieren auch. Es ist eine Unverschämtheit, die scheinen nichts dazugelernt zu haben“, meint die 21jährige Andrea Müller. „Ich habe nichts mit denen am Hut“, erklärt die 61jährige Luise Uilein. Aber es sei ein zweischneidiges Schwert. Solange die Partei nicht verboten sei, müsse für sie auch dasselbe Recht gelten. Keineswegs überraschend ist es für einige türkische Möllner, daß Rechtsextreme in der 17.500-Einwohner-Stadt kandidieren. „Ich hab sogar damit gerechnet“, erklärt Zekai Demircan. „Warum sollten sie nicht? Wegen der Brandanschläge?“ fragt er provozierend. Die Glatzen seien zwar aus dem Stadtbild verschwunden. Aber das bedeute doch nicht, daß es keine Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung hier gebe.

Bei der Landtagswahl 1992 erhielten DVU, Republikaner und NPD in Mölln zusammen über elf Prozent der Stimmen. Heute wollen die Möllner ihre Ruhe haben. „Hören Sie auf, ich kann's nicht mehr hören“, poltert eine Frau. Ein ganz normaler Wahlkampf: Beim Gang durch die Möllner Einkaufsstraße sind genauso wie sonst in Schleswig-Holstein nur wenige Plakate zu entdecken. An Samstagen stehen die Parteien auf angestammten Plätzen mit ihren Ständen, und Wahlwerber verteilen Informationsmaterial, die SPD auch Kekse. CDU und FDP laden zu Wahlkampfveranstaltungen ein, auf denen häufig Skat gespielt wird und Wurstpreise oder eine Reise nach Bonn zu gewinnen sind. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen, die zum ersten Mal für den Stadtrat kandidieren, haben das Thema Rassismus zu ihrem Wahlkampfthema Nummer eins gemacht. Durch die Anschläge im November hat sich die Mitgliederzahl der Grünen in Mölln von zehn auf über zwanzig Menschen mehr als verdoppelt. „Das hat uns so erschüttert, daß wir alle Kräfte mobilisiert haben, um auch etwas praktisch Politisches zu machen und etwas zu verändern“, sagt der Ortsvorsitzende Horst Grünwald. Für einen Sitz im Stadtrat brauchen sie gut 500 Stimmen. „Wir sind ganz optimistisch“, meint Grünwald. Derzeit haben CDU und SPD je zwölf Sitze im Parlament, die FDP einen und die Freie Möllner Wählergemeinschaft zwei Sitze. Mit Diskussionsveranstaltungen zum Beispiel über Ausländerwahlrecht versucht die Ökopartei die Decke des Schweigens zu lüften. Es sind die einzigen Veranstaltungen, in denen Politiker aller Parteien gemeinsam auftreten. Einig waren CDU, SPD, FDP und Grüne sich allerdings darin, die Einrichtung der multikulturellen Begegnungsstätte, die in dem Haus Mühlenstraße 9, in dem die drei Menschen verbrannten, entstehen soll, nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Das allerdings ist auch gar nicht nötig, denn nach langem Gezanke steht seit einigen Wochen ein Konzept fest. Im hinteren Teil des Hauses in der Mühlenstraße soll 1995 die Begegnungsstätte unter Trägerschaft der Stadt eröffnet werden. Rund 600.000 Mark für den Umbau sollen zu je einem Drittel von Land, Bund und der Stadt Mölln finanziert werden. Die Einrichtung der Begegnungsstätte gehört für Ali Aygün zu den positiven Entwicklungen in Mölln. Zu den weniger erfreulichen Aspekten zählt er, daß sich nur noch wenige ausländische Mitbürger politisch betätigen, sie engagieren sich überwiegend im neugegründeten Ausländerbeirat der Stadt. Kein Wunder sei es allerdings, meint Aygün, daß sich viele Ausländer nicht für die Kommunalwahl interessieren: „Wir können ja die Politik, die uns bestimmt, nicht mitbestimmen.“ Die Parteien zeigten zwar vermehrt Interesse und „laden uns zu Sitzungen ein“. Doch Aygün kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß „sie sich auf unsere Kosten profilieren wollen. Mit einmal sind wir wieder interessant.“ Im türkischen Teestübchen in Mölln drehen sich die Gespräche allerdings schon um eine Wahl. Im Fernseher sind Bilder von türkischen Politikern zu sehen. Denn viel interessanter als die schleswig-holsteinische Wahl ist für die Türken die Kommunalwahl in der Türkei am 27. März. „Ärgerlich ist nur, daß wir da auch nicht wählen dürfen“, meint ein junger Mann und schaltet den Fernseher aus.