Kinder an Freunde weitergereicht

Prozeßlawine wegen sexueller Gewalt an Kindern in Flachslanden bei Ansbach / 20 Erwachsene angeklagt / Neun Kinder zwischen zwei und neun Jahren waren die Opfer  ■ Aus Ansbach Bernd Siegler

Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Das Achselzucken des 29jährigen Hans-Jürgen S. ist vielsagend. Von Reue kaum eine Spur. Nahezu gleichgültig verfolgt der ledige Arbeiter, den man in Flachslanden „Bubi“ nennt, den Prozeß vor dem Landgericht. Die Anklage lautete auf mehrfachen sexuellen Mißbrauch von Kindern, Beihilfe zur Vergewaltigung sowie Verbreitung pornographischer Schriften. Als Staatsanwalt Peter Hüttner ihm dann gestern dazu noch die mehrfache Nötigung von zwei elf- und siebenjährigen Mädchen zum Geschlechtsverkehr vorwirft, wird der vierte Prozeß einer Serie von insgesamt 20 Verfahren unterbrochen.

Am 30. Juni letzten Jahres waren über 100 Polizeibeamte im Einsatz, um 15 Männer und fünf Frauen aus der 2.400 Einwohner zählenden Gemeinde Flachslanden (Mittelfranken) sowie aus Ansbach und Nürnberg festzunehmen. In den Ermittlungen stellte sich heraus, daß die Erwachsenen im Alter zwischen 23 und 79 Jahren neun Kinder sexuell mißbraucht hatten. Das jüngste Opfer war zur Tatzeit gerade mal zwei Jahre alt. Der leitende Oberstaatsanwalt Horst Fürhäußer bezeichnete die von Verwandten und Bekannten der Kinder begangenen Taten als „das Schlimmste, was mir bisher bekanntgeworden ist“.

Im Zentrum der Ermittlungen stand die Familie T. In ihrer Wohnung, in zwei auf einem Campingplatz abgestellten Wohnwagen und in einer Waldhütte sind die vier Töchter der Familie T. sowie Kinder von befreundeten Familien mehrfach vergewaltigt und zu anderen sexuellen Handlungen genötigt worden.

Die Kinder haben sich immer gewehrt, mit Zwicken, Kratzen, Strampeln und Schreien. Auch ihre Eltern taten den Kindern fürchterliche Gewalt an. Der 54jährige Rudi T. hielt seine sich wehrenden Töchter fest, wenn seine Freunde sie mißbrauchten. Mutter Angelika (34) stiftete andere Erwachsene zu weiteren Handlungen an und bat Hans-Jürgen S., die sexuellen Perversionen auf Video zu filmen.

Bereits ein Jahr vor der Verhaftung der Erwachsenen wurde das Landratsamt auf das auffällige Verhalten der Kinder aufmerksam. Doch erst Ende Januar letzten Jahres wurde das Familiengericht eingeschaltet. Die fünf Kinder der Familie T. kamen wegen auffälliger Vernachlässigung in eine Pflegefamilie. Zunächst verweigerten sie die Aussage gegen ihre Eltern, so daß die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen nicht voran kam. Nach und nach vertrauten sie sich aber ihren Pflegeeltern und den TherapeutInnen an.

Sexueller Mißbrauch war Alltag im Hause der Familie T., selbst am Kindergeburtstag. Sabines elfter Geburtstag (Name geändert) begann mit einer Vergewaltigung durch den 37jährigen Heinz B. Sabines Mutter kaufte derweil Kaffee und Kuchen für die Geburtstagsfeier ein. Als sie das Geschehen sah, forderte sie, so die Anklageschrift, Heinz B. auf, sich „noch mal auf die Sabine draufzulegen“ – für die Videokamera. Nach dem Kaffeetrinken wurden die vier Töchter brutal zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

Vor Hans-Jürgen S. verurteilte das Landgericht bereits zwei 31- und 37jährige Männer wegen besonders schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu dreieinhalb und achteinhalb Jahren Gefängnis. Als strafmildernd wurde ihr Geständnis zugute gehalten, das den Kindern einen Zeugenauftritt erspart hatte. Der Prozeß gegen einen 39jährigen Mann wurde zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens ausgesetzt.

Auch Videofilmer Hans-Jürgen S. gestand, bis Staatsanwalt Hüttner die Nachtragsanklage verlas. Die ließ den Angeklagten nicht mehr nur als Mitläufer erscheinen, der alles gemacht haben will, was man von ihm verlangt hatte, sondern als jemand, der aktiv mitgemacht hat. Die 11jährige Sabine hatte außerhalb des Gerichts ausgesagt, sie selbst sei „schon ganz oft von Bubi gefickt“ worden, ihre vier Jahre jüngere Schwester Vera „manchmal“.

Da dies als besonders schwerer sexueller Mißbrauch gilt, wurde der Haftbefehl gegen Hans-Jürgen S. unverzüglich vollzogen. Die Verhandlung wurde für eine Woche unterbrochen.