Die Insel der Stummen

■ Hoffnung für Sprachunbegabte: La Palma, Eldorado der Sprachlosen / Spanisch schweigen incl. Prüfung in zwei Wochen!

Zuhause brauchte es eine Woche, da wußte ich: Es hat keinen Sinn. Wer über jene Notration Italienisch verfügt, die es erlaubt, schamrot einen dorfeigenen Landwein zu bestellen, kann sich zwei Jahre lang die Langenscheid-Kassette anhören: Spanisch bleibt ihm auf immer verschlossen. Er wird bis in alle Ewigkeit ein schaumgekröntes „bierra“ bestellen und nie auf dieses komplett zusammenhanglose „cerveza“ verfallen, das die Spanier zum Biertrinken nötig haben. Bis ans Grab wird er es dem verbohrten („stolzen“) Volk nachtragen, daß es sich dem Weltwort banana verschließt und gegen alle Logik auf platana besteht.

Aber siehe: Es gibt ein Spanien, da wachsen einem Kakteenfrüchte und Mispeln in den Mund, und darüberhinaus hat man keinerlei Sprachprobleme. Das Wunderland ist eine spanische Insel in der Nähe von Afrika und heißt La Palma. Die Rede ist nicht von der Einkaufsstraße der Inselhauptstadt, wo sadistische Verkäufer den unbeholfenen Touristen dermaßen bloßstellen und dem Hohngelächter der Umstehenden preisgeben, daß der Urlauber sich für den Rest der Urlaubszeit am Pool der Appartementanlage versteckt, wo man Schweizerdeutsch mit Untertiteln spricht. Die Rede ist vom ehrlichen, ernsten, abgearbeiteten und vor allen Dingen vollends stummen Personal der dörflichen Tante-Emma-Läden, die man hier supermercado nennen zu müssen glaubt.

Der Ureinwohner nämlich ist ganz ohne Sprache – bis auf eine Art Bellen, die mit Bellen beantwortet wird. Auf unglaublich glückliche Art und Weise verbindet sich beim Brotkauf (das lexikalisch korrekt hervorgestoßene pan, pan bewirkt Staunen, das Handzeichen dagegen Erfolg) das peinliche Schweigen des Touristen mit der angeborenen Stummheit der Menschen, die wissen, daß längst alles gesagt wurde.

Das Schweigen will allerdings auch erst gelernt sein. Anfangs nuschelt man ja noch ein paar italienische Rückfälle, später brummt man „aus Höflichkeit“ hispanophile Vokale, schließlich kommt man schon mit zwei drei Gurgellauten aus.

Und siehe: man versteht sich immer besser. Eines glücklichen Tages schafft man es dann: zu schweigen wie ein Insulaner. Das Schweigetraining ist in zwei Pauschalwochen gut zu schaffen. Selbstverständlich erlebt jeder Schweigeschüler diesen Moment, da er denkt, die mögen mich nicht. Aber unter Garantie kommt dann ein Erweckungserlebnis dieser Art daher: Der stille Alte, der uns nicht ein einziges Mal ansah, schenkt dem Kleinen eines Morgens ein Stück Apfel. Man braucht nicht darüber zu reden: Die Prüfung ist bestanden!

Burkhard Straßmann