Städtische Struktur auf den Kopf gestellt

■ 300-Millionen-Programm zur Strukturentwicklung: Rot-Grüne Gruppe will Rundumschlag von „A“usverkauf von Mietwohnungen bis „Z“usammenschmelzen des öffentlichen Dienstes

Die Zahlen lesen sich wie Hiobsbotschaften: 47.340 Frauen und Männer waren im Februar im Bereich des Arbeitsamtes Hannover arbeitslos – das bedeutet einen Anstieg von 10,6 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat im Vorjahr. Von den 32.030 Leistungsempfängern bezogen 64 Prozent Arbeitslosengeld und 36 Prozent Arbeitslosenhilfe. Gewerkschaften, Industrieverbände und Wissenschaftler sind sich einig: Die Kehrtwende in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von Stadt und Region kann nicht länger ausbleiben. Doch realisiert wurde bislang nur wenig – nicht zuletzt, weil die Stadt noch immer auf den Expo-Effekt hofft.

Wirtschaftsdezernent Heinz Kruse hat sich in seinem Engagement ebenfalls seit langem festgelegt: Die Stadt komme nur mit der Automobilbranche aus ihrer strukturellen Krise heraus. Doch dieser Weg ist beim wirtschaftspolitischen Sprecher der GABL, Walter Zuber, auf scharfe Kritik gestoßen. Entwicklungsperspektiven sieht Zuber im Bereich der Umweltwirtschaft, zu der er auch neues Bauen und die Energieversorgungsbranche rechnet. Dieser Sektor, so Zuber, sei durch kommunales Handeln direkt beeinflußbar. Die Folge: Tausende von Arbeitsplätzen und könnten gesichert und etliche neu geschaffen werden.

Zusammen mit einer kleinen Gruppe rot-grüner Freunde hat Zuber ein 300-Millionen-Programm zur ökologischen und sozialen Strukturentwicklung von Stadt und Region entwickelt. Der Gruppe gehören neben Zuber Klaus-Dieter Mudroch (SPD), Helga Nowack (GABL), Frank Puin (Bürgerschule) und Detlev Schmidt (SPD) an. Die fünf setzen auf Abspecken und Privatisierung im öffentlichen Bereich ebenso wie auf eine Belebung der Binnennachfrage in der Region. Ihre These: Durch Ausgabensteigerungen zugunsten von Beschäftigung und ökologischem Umbau und den Verzicht auf Abbau von Beihilfen könne eine Wirtschaftswende in der Region Hannover eingeleitet werden.

Die Zahlen lassen die Vorschläge sinnvoll erscheinen: Unter den rund 308.000 Beschäftigten (Stand: Anfang 1993) waren nach einer aktuellen Statistik der Stadt rund 187.800 Angestellte und 120.800 ArbeiterInnen. Mit rund 71.000 arbeiteten die meisten im verarbeitenden Gewerbe, weitere rund 89.000 im Dienstleistungsbereich, 47.100 im Handel und rund 24.000 im Kreditwesen sowie weitere 23.000 bei öffentlichen Verwaltungen.

Die AutorInnen fordern deutliche Einschnitte bei den Verwaltungen: Freiwillige öffentliche Leistungen und Angebote großer Sozialverbände sollen immer dann an private, nicht-profitorientierter Organisationen abgegeben werden, wenn diese kostengünstiger sind; die Verwaltungsapparate insgesamt sollen effizenter und ökonomischer werden. Die energetische Sanierung städtischer Gebäude mit dem Effekt späterer Energie- und damit Kosteneinsparungen sollen überwiegend über Contracting von Dritten vorfinanziert werden. Statt den Arbeitsdienst für SozialhilfeempfängerInnen in städtischer Trägerschaft auszubauen, soll die Kommune 10 Millionen Mark in die Beschäftigungsförderung über gemeinnützige Träger investieren. Mit diesem Sockelbetrag ließen sich weitere 20 Millionen Mark vom Europäischen Sozialfonds und dem Land erschließen und der Sozialetat der Landeshauptstadt so um 30 Millionen Mark entlastet werden. Außerdem soll die Kommune nur noch dann Grundstücke verkaufen, wenn laufende Einnahmen garantiert sind.

Schließlich erwartet die Gruppe Einnahmen von rund 50 Millionen Mark durch den Verkauf von 1.000 Altbauwohnungen an die bisherigen Mieter. Vorteile hätte davon sowohl die Stadt – sie könnte das Geld in Wohnungsneubau stecken – als auch die bisherigen Mieter: die seien damit vor Mietpreissteigerungen bewahrt. Nicht zuletzt aber soll das Verkehrskonzept der Stadt neu entwickelt werden – und das heißt u.a.: Park & Ride-Plätze ade. kk