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Die Heiden lehnen sich auf

■ Letzte Küsse, letzte Umarmungen, alles in Stein: Die sonderbare „Erotik der Friedhöfe“, eine Ausstellung mit Fotos von André Chabot im Institut Français

Ja, wenn diese Steine reden könnten, das wäre ein immerwährendes Seufzen und Aufheulen, ein Stöhnen, Schluchzen und Nichtendenwollen. So aber herrscht weiterhin die verläßlichste Ruhe und Todgeweihtheit auf den Friedhöfen, auch wenn man steinerne Paare sieht, wie sie sich frenetisch umschlungen halten, und steinerne Muttchen, wie sie dem Paps einen letzten Schmatz aufdrücken, und pompöse Weibsbilder, sehr hingegossen in ihrer steinernen Fleischlichkeit, ganz recht, wie sie sich dem Tod ein wenig frech, ein wenig höhnisch geradezu darbieten.

All diese ältlichen Wörter sind hier schon richtig, denn wir befinden uns im 19. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen die meisten Grabkunstwerke, die der Fotograf André Chabot während ausgedehnter Reisen durch das Europa der Friedhöfe aufgefunden hat. Rund fünfzig seiner Bilder aus Prag, Rom, Paris, Barcelona sind jetzt im Institut Français zu sehen, und es sind wahre Monumente des Lebens in all seiner Bezwinglichkeit.

Allerdings gibt es auch die ganz abgeklärten Sachen, zum Beispiel ein Pärchen, wie es in traulicher Zwiesprach auf seinem Grabdeckel ruht, als würde es darum gehen, wer heute zum Elternabend muß, oder die vier, fünf antikisierten Statuen, die nur noch Bewältigung und gutes Benehmen behaupten. Aber die anderen! Frauen, die sich über Särge werfen, umflossen von dünnsten Schleiern, Szenen vom letzten Kuß auf dem Sterbebett, und abermals Frauen mit fast gar nichts an!

Da sieht man erstens, wie schreckhaft und zugleich wehleidig die verlassenen Männer allezeit waren, sind und bleiben. Man sieht aber auch zweitens die ganze Hilflosigkeit des Naturalismus: Wie lebensecht sind die Gestalten gemeißelt, wie blutvoll treten die Adern hervor für die Ewigkeit, aber in ihrer Steingewordenheit sind die Figuren schon toter, als sie in der Vorstellung je sein könnten.

Am rührendsten sind die älteren Werke: Sie sind ja selber schon moribund, es bröckelt der Stein und es schimmelt das Moos, bald müssen auch sie dahin und sind nur ein Aufschub gewesen, ein Antrag auf einstweilige Verfügung, und am Ende wird aber doch ein jeder abgelehnt, o Mensch.

Man könnte schon verdrießlich werden, wenn da nicht doch immer diese Antäuschung der Körperlichkeit wäre, diese köstlichen Formen, diese geradezu heidnische Frechheit gegen das Unabänderliche, wie schon der Psalmist sang: „Die Heiden lehnen sich auf / HErr, wider Deinen Christ.“ Allüberall die Feier des Rundlichen und die Pracht des Wallenden gegen den Tod, den achtkantigen Schlotterbuben.

Manche Figuren sehen sogar aus, als wollten sie sich gerade ihm, dem Schnitter, inbrünstiglich an die Brust werfen, und spätestens hier wird natürlich die Verlockung groß, über Liebe und Tod, über Eros und Thanatos sowieso, auf gut Feuilletonistisch daherzukrähen. Aber im Grunde erfüllt sich ja auch hier nur wieder das Wort des Bremer Dichters Gerhard Ochs: „Das Sterben ist leicht, aber das Leben ist leichter.“

Manfred Dworschak Im Institut Français, Contrescarpe 19, bis zum 23.3. und dann wieder vom 5.4. bis zum 21.4.

Öffnungszeiten: Mo.-Do. 10-13 Uhr und 15-19 Uhr, Fr. 10-14 Uhr

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