Was macht der Päderast in Island?

■ Aus dem Stegreif: „hidden Shakespeare“ mit „Uneingestöpselt in Marienbad“ auf Kampnagel

Was kommt dabei raus, wenn Theaterbesucher die Regie des Abends führen dürfen? Folgendes: Zwei Männer treffen sich im Schwimmbad, der eine ist geil auf ein badendes Knäblein, wobei das Schlimmste der Woche ein mißlungenes Hühnerfrikassee auf Island war. Und eine folgenschwere Pilzvergiftung.

Nach diesen Stichworten aus dem Publikum improvisierten die acht Schauspieler von hidden Shakespeare am Freitag auf Kampnagel ein aberwitzig-clowneskes Stück. Hinter dem unverfänglichen Titel Uneingestöpselt in Marienbad verbirgt sich pures Stegreif-Theater: Die Spieler kommen nacheinander auf die Bühne, agieren miteinander, dann, bevor der letzte erscheint, erhält das Publikum die ersten Anweisungen: „Wenn –freeze' gerufen wird, dann könnt ihr einen von uns auswechseln. Jetzt sagt uns bitte, an welchem Ort befinden wir uns? Und was war eins eurer schlimmsten Erlebnisse der Woche?“. Aus den zwei Begriffen „Island“ und „Hühnerfrikassee“ lassen die Schauspieler spontan die Handlung enstehen: Diesmal kommt es zu einem dramatischen Beziehungsdisput zweier Freundinnen.

Das Spiel ist gewagt. Verlaß ist nur auf das eigene Können und die Einfühlungsgabe der Kollegen. Doch bei hidden Shakespeare funktioniert das Zusammenspiel, nie sind die Künstler verlegen, auch wenn mitten in einer Aktion „freeze“ gerufen wird und ein neuer Partner auf der Bühne steht. Intuitiv unterstützen die Schauspieler einander: Mal wird ein unsichtbarer Stuhl gereicht, mal tritt ein dritter zu zwei Akteuren durch eine imaginäre Tür.

Darstellerin Mignon Reme, die die Idee aus New York mitgebracht hat, beteuert: „Wir haben kein Konzept, nur die Struktur, wie wir auf die Bühne kommen, und wann die Zuschauer eingreifen dürfen“. Die Künstler wissen weder, was an dem Abend gespielt wird, noch wie lang einzelne Szenen sein werden. „Heute war alles dabei, von Island bis Päderastie“, so Mignon Reme, „wir lassen uns darauf ein, was im Publikum vorherrscht“. Ganz willenlos sind die Spieler jedoch nicht, zuviel Sex zum Beispiel wird dann geflissentlich überhört.

Das Ergebnis: Jedesmal ein neues Stück, zuweilen sogar mit einem durchgängigen Handlungsstrang: Die Männer vom Schwimmbad sehen sich wieder (natürlich auf Island) in der Wohnung des Paares mit der Pilzvergiftung, wegen der der Mann schwanger ist und seine Freundin - die, die auch frigide ist - gerade versucht, ihrer Freundin das Hühnerfrikassee-Kochen auszureden. Gustav - das Knäblein aus der Schwimmhalle - umarmt schließlich seine Mutter, alle sind gerührt. Happy-End! Und als Zugabe inszeniert die Truppe sogar noch einen Flugzeugabsturz.

Katrin Wienefeld