piwik no script img

Gestalten statt planen

Eisenbahnknoten Koblenz, 2.August 1914, 3 Uhr früh. Startzeichen für den Weltkrieg Nummer 1. Das größte Eisenbahnmanöver der Geschichte beginnt. Mit uhrwerksartiger Präzision setzen sich die ersten jener 11.000 Züge in Bewegung, die allein bis zum 16.August, dem Fall der belgischen Festung Lüttich, drei Millionen Soldaten, 860.000 Pferde und eine schier unvorstellbare Menge Kriegsgerät an die Westfront karren sollten.

Die traditionellen städtischen „Generalverkehrspläne“ spiegeln diesen Geist generalstabsmäßiger Planung auch heute noch ein wenig wider, wenngleich das Wort „General“ hier ganz zivil schlicht als „Haupt-“ verstanden werden will.

Die wirtschaftswunderlichen Generalverkehrspläne der Nachkriegszeit stehen für eine obrigkeitliche Planungstradition, die sich statt den Militärs den Wünschen von Wirtschaft und Autokonsumenten vorauseilend fügt. Auslöser für die Verkehrsplanung waren Wirtschafts- und Bevölkerungsprognosen. „Mehr Verkehr = mehr Wirtschaft = mehr Wohlstand“ galt als unumstößliche Richtschnur, der die Verkehrsplaner durch fleißigen Verkehrswegebau zu genügen hatten. Das Ergebnis ist bekannt: Der Verkehrswegebau und ein unkontrollierbares Wachstum des motorisierten (Individual-)Verkehrs entpuppten sich als Teufelskreis, der die Mobilität in den Städten immer mehr zum selbstzerstörerischen Krebsgeschwür werden ließ.

Mitte der 80er Jahre wurde von einer neuen Planer-Generation deshalb das Wort „Verkehrsentwicklungsplan“ an die Stelle der Generalverkehrsplanung gesetzt. Verkehr sollte jetzt plötzlich auch qualitativen Ansprüchen genügen, stadt-, sozial- und umweltverträglich sein. Noch feinsinnige Planer benutzen deshalb seit kurzem auch mit Vorliebe das Wort „Gestaltungsplanung“.

Entwicklungs- und Gestaltungspläne beschränken sich nicht auf den Verkehrswegebau. Sie begreifen „Verkehr“ als ein System, das es mit einer Mixtur verschiedenster Maßnahmen zu gestalten gilt, bis es die gewünschte Form annimmt. Nicht mehr Prognosen, sondern „Leitbilder“ und „Szenarien“ bestimmen deshalb heute das Gesicht der Verkehrsplanung. fm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen