Hermann, mach zu!

■ Theater von hinten (5): Der Oberinspizient der Oper sitzt im Cockpit am Goetheplatz/ Er checkt die Einsätze, redet den SängerInnen gut zu und dirigiert

„Es stört mich nicht, wenn niemand weiß, was ein Inspizient ist, dann kommt nämlich auch niemand auf die Idee, mir die Fehler zuzuordnen“, lacht Reiner Standke. Um sogleich hinzuzufügen: „Aber ich, ich irre mich selten.“ Von zwei Inspizienten, die am Bremer Theater nur mit Opern arbeiten, ist er der Oberinspizient. „Typisch deutsch“ findet er, daß es dafür einen Chef geben muß, aber für 80 Mark mehr ist er es „gerne“.

Sein Arbeitsplatz sieht aus wie ein Cockpit. „Man kann den Inspizienten durchaus mit einem Fluglotsen vergleichen, aber wenn die sich irren, gibt's Tote, und wenn wir uns irren, lachen die Leute.“ Vor mehr als 100 Lämpchen und Knöpfen sitzend muß er den Überblick behalten über den gesamten Verlauf der Abendvorstellung. Jeder Lichtwechsel, jede Kulissenverschiebung, jeder Auftritt, alles wird von Reiner Standke kontrolliert und zum rechten Zeitpunkt ins Rollen gebracht. Das englische Wort „stagemanager“ gibt im Grunde mehr Aufschluß über seinen Beruf. Abgeleitet von „inspice“ bedeute es sowas wie durchchecken, erläutert er: „Aber die meiste Arbeit ist doch das Fahren einer Vorstellung.“

Schon das Reinklingeln des Publikums ist seine Aufgabe. Falls es vor der Vorstellung etwas zu sagen gibt, muß der Inspizient vor den Vorhang treten. Deshalb, so sagt er, finde er eine konservative korrekte Kleidung sinnvoll. Auf seinem Pult liegt immer der Klavierauszug der Oper, die gerade gezeigt wird. Auf jeder linken Seite sind Noten, und auf die rechte hat Reiner Standke verschiedene Symbole gemalt. Ein grünes Rechteck mit einem B kann zum Beispiel einen Lichtwechsel bedeuten. Dann drückt Standke einen Schaltknopf, und hinter den Kulissen leuchten an den Seiten kleine grüne, rote oder weiße Lämpchen auf. Dann ändern die Beleuchter gleichzeitig das Licht. Bis zu 80 Lichtwechsel finden in der Regel pro Stück statt. Die Lampen kündigen aber auch Podienfahrten und Kulissenverschiebungen an.

Der Zeitpunkt eines Kommandos aus der Schaltzentrale von Reiner Standke hängt vom Takt ab. „Ich arbeite wie der Orchestermusiker am Schlag des Dirigenten“, sagt er. Einsetzen tut er ebenso wie der Musiker beim Auftakt. Und er kennt seine Pappenheimer. Manche reagieren schneller, andere langsamer, das bezieht er in den Zeitplan ein: „Achtung, und: kommen“, heißt sein Kommando über die Rufanlage. Mal schneller, mal langsamer gesprochen. Um mit dem Blick am Taktstock kleben zu können, legt Standke den Kopf in den Nacken. Der Monitor steht technich ungünstig: ganz oben auf dem Pult. „Nackenschmerzn jibts umsonst“, ulkt der gebürtige Berliner. „Die Berliner Mentalität mit ihrer Pfiffigkeit und Frechheit kommt mir in diesem Beruf zugute.“

Standke muß sich durchsetzen, er ist für die Disziplin aller verantwortlich. Auch wenn sich zum Beispiel ein Sänger am Abend unpäßlich fühlt. Dem redet er dann gut zu. „Da mir die SängerInnen einen hohen Sachverstand zutrauen, bin ich glaubhaft“, sagt er. Nach seinem Studium zum Opernsänger, war er zwar nur eineinhalb Jahre im Engagement, doch das Fachwissen ist geblieben. Dann ging seine Frau, ebenfalls Opernsängerin, nach Bremen. Er ging mit und schuftete ein halbes Jahr als Bühnenarbeiter, bevor er Inspizient wurde. „Doch so habe ich nie erfahren, ob ich als Sänger an einer kleinen Bühne verhungert wäre, oder ein Weltstar geworen wäre.“

Sein Blick schweift über das Schaltpult. Mit der Rufanlage kann er jeden erreichen, sowohl per Einzelruf, zum Beispiel in die Garderobe, wie auch über die allgemeine Lautsprecheranlage. Vor einer Premiere rede er betont leise, sonor und höflich, um die Erregung zu dämpfen, sagt er. „Die Sänger amüsieren sich oft, wenn ich sie einrufe, obwohl sie neben mir stehen. Aber dann weiß jeder, welcher Auftritt und welche Kombination von Licht, Kulisse Kostüm und so weiter gemeint ist.“ Einer der Sänger kam mal zu spät. Da rief Standke: „Hermann, mach zu!“ „Und ich vergaß ganz, daß der Vorhangmeister Hermann heißt!“

Vivianne Agena