Sanssouci
: Vorschlag

■ Wameling/Kogge lesen Schnitzler/Sandrock

Bei Amor, Arthur Schnitzler war kein Kind von Traurigkeit. Das mehr oder weniger zärtliche Liebesgeflüster seines dramatischen Meisterstücks „Reigen“ hatte der Wiener Arzt und Dichter vor fast hundert Jahren nicht etwa den Erzählungen seiner Patienten abgelauscht, sondern im gnadenlosen Selbstversuch erforscht. „Zwei bei der Hand und eine im Sinn“ war seine erotische Erfolgsformel, und er scheute sich nicht, damit bisweilen auch Zwecken zu dienen, die außerhalb des Boudoirs lagen. Voller Körpereinsatz im Dienste des Nachruhms. Adele Sandrock beispielsweise hätte er nach einer mehrmonatigen Liaison gerne schon 1894 verlassen. Aber noch war seine „Liebelei“ am Burgtheater nicht angenommen, und so beantwortete er die leidenschaftlichen Briefe der berühmten Schauspielerin halbherzig weiter, war ihr „lieber Turi“ und schrieb sich seine diesbezügliche Langeweile im Tagebuch von der Seele.

Ein opportunistischer Macho. Aber was für ein blendender Formulierer. Ein Meister des diplomatischen Liebesgrußes. Nachzulesen ist die Affäre Sandrock/Schnitzler vom hymnisch- mißtrauischen Beginn bis zum schmerzlich-angeödeten Ende, weil sie ihm voller Haß irgendwann seine Briefe zurückschickte und er die ihren behielt. Anzuhören ist diese in all ihrer Spezifik doch typische Geschichte derzeit in der Bar Jeder Vernunft.

„?Ich dich ewig!“ heißt das Programm, in dem die Schauspieler Imogen Kogge und Gerd Wameling Auszüge aus dem Briefwechsel lesen und mimen. Rolf Hammermüller hat einige Gedichte vertont, die ebenso wie zum Thema passende Salonlieder zwischendurch bravourös und komisch zu Gehör gebracht werden. Der Hauptwitz der Veranstaltung besteht natürlich darin, daß Schnitzlers Briefe an „Dilli“ mit seinen Tagebucheintragungen konterkariert werden. Abgründe tun sich da auf. Kein Abend für Frischverliebte. Aber für alle anderen. In mindestens einem der Liebesparts wird sich – geschlechterübergreifend – wohl jeder wiederfinden. In 100 Jahren hat sich da wenig verändert, nur daß man derartigen Gefühlen heutzutage kaum mehr gestattet, in Tinte zu gerinnen.

Der Vortrag ist vollendet nuanciert mit genau der notwendigen Prise ironischer Distanz. Am Ende stehen sie in einer Reihe, Grundbekleidung Schwarzweiß, Gerd Wamelings königsblauer Weste, Imogen Kogge mit einem rotsamtenen Schal und der Pianist Johannes Falkenstein mit gelber Bauchbinde. Ein schönes Bild. Petra Kohse

Noch morgen, 20.30 Uhr, Bar Jeder Vernunft, Spiegelzelt an der ehemaligen Freien Volksbühne, Schaperstraße, Wilmersdorf.