: Sind so kleine Hippies
Hellersdorf feiert in diesem Sommer sein Coming-out als Woodstock II ■ Von Andreas Becker
Wenn es einen Ort gibt, wo man den Mythos Woodstock nicht hinter den Gardinen der Einwohner vermuten würde, dann in Hellersdorf. „Der jüngste Bezirk Berlins“ glänzt durch Unfertigkeit. Als hier noch Betonplatten zu Häusern verschweißt wurden, lag der Bauherr schon im Koma. Die DDR gab den Löffel ab und hinterließ ein Viertel, das nur durch ein Richtungsschild am U-Bahnhof daran erinnert, in der Nähe von „Alexanderplatz“ zu liegen. C&A, Hertie und der Sun&Fun Gartenmarkt residieren in mobilen Leichtbaubaracken, als käme morgen vieleicht doch der Sozialismus zurück und das Kapital müsse flüchten. Und ringsherum matschige Parkplätze.
Es mutet an wie Trotz: Genau in dieser Gegend feiert man schon seit Ende Februar den 25. Geburtstag des Woodstock-Festivals. Der Bezirk ist stolz darauf, der bislang einzige in Berlin zu sein, der in diesem Sommer mit diversen Veranstaltungen sein eigenes Woodstock-Revival begeht. Ohne finanzielle Unterstützung des Senats, der hier eine eher fernliegende Macht zu sein scheint. „Wir bezahlen das alles aus Hellersdorfer Mitteln“, sagt Bezirksbürgermeister Bernd Mahlke.
Die Joints sind natürlich Attrappen
Beim Pressetermin im Kino Kiste, hinter einem Sandhügel direkt am U-Bahnhof Hellersdorf – Erkennungszeichen gelbe Kiste auf dem Dach – haben die Festival-Macher sogar an die Joints gedacht. Sie sind aber „natürlich“ nur Attrappen. Wie Hippies oder notorische Altfreaks sehen die Organisatoren von der Volkshochschule auch nicht gerade aus. Ihr Motiv, sich mit einem Festival zu beschäftigen, das im nachhinein das Jahr 1969 zum Fanal der Anti-Vietnamkrieg- Bewegung und der Flower-Power- Generation werden ließ, liegt in einem Versäumnis der DDR-Führung und des „Sozialismus“ östlicher Prägung überhaupt begründet: die panische Angst vor dem Zündstoff sozialer Bewegungen. Und obwohl sich diese bis Anfang der Achtziger deutlich kapitalismuskritisch orientierten, versuchte man sie weitgehend zu ignorieren. Woodstock wurde auf sein Antikriegsstatement reduziert. Den Konzertfilm gab es in der DDR niemals zu sehen.
Im Modder vögelnde nackte Langhaarige, der sich in zuckenden Armbewegungen windende Joe Cocker, der Fixer Jimi Hendrix, der immerhin die feindliche Nationalhymne gitarristisch kasteite, und ein Mann auf der Bühne, der die Zuschauer lauthals animierte, die Buchstaben F-U- C-K zu buchstabieren, nicht ohne hinzuzufügen, daß das illegal sei, und überall der Rauch von Joints und blanke Busen – all das war entschieden too much für Kulturpolitiker, die schon Angst hatten vor am Sozialismus herumkrittelnden Bänkelsängern wie Biermann.
Aber das war später. Zwischendurch gab's auch in der DDR eine kurze Tauphase. 1971 war der 8. Parteitag. Das sagt dem Wessi in mir wenig, den Pseudo-Freaks von der Volkshochschulfront Hellersdorf aber um so mehr: „Es gab sogar die Idee, das Ganze ,Woodstock, 8. Parteitag – Die Fete‘ zu nennen. Der 8. Parteitag war Teil einer Weltbewegung.“ Das zumindest meint Fred Schöner, der das Filmprogramm zusammengestellt hat. Die Öffnung zu Beginn der Ära Honecker, mit ihren „Ankunftsfilmen“, die plötzlich „Probleme“ der Menschen mit dem Realismus des Sozialismus in Defa-Schwarzweiß-Melancholie verpacken durften, wird in Hellersdorf mit Filmen wie „Die Legende von Paul und Paula“ – oder einem der ersten Filme mit Katharina Thalbach, „Es ist eine alte Geschichte“ – dokumentiert.
Der Post-Ulbricht-Frühling währte keine drei Jahre. Was damals nur ein Mauerspringer hätte parallel verfolgen können, wird nun in Hellersdorf einander gegenübergestellt. Frank Zappa, „Easy Rider“, „Jimi Hendrix plays Monterey“, Abba (???) konkurrieren mit Manne Krug als Jazzsänger.
Mit sympathisch volkshochschulhaftem Bemühen will man den Hellersdorfer Kids (Durchschnittsalter der Bewohner ist 27) ein wenig Flower-Power in die Wohnstuben hauchen. Zum Ferienauftakt am 13. Juli gibt's ein „Flower-Power-Mini-Woodstock-Festival“ – mit Modenschau und Disko. Es gibt Workshops mit Woodstock-Dance und Woodstock-Drums. Und einen Vortrag zum Thema: „Hermann Hesse – ein Guru der Woodstock-Generation?“ Die Ausstellung „Aufbruch ins Heute“ befaßt sich mit der bildenden Kunst der DDR zu Beginn der Siebziger.
Wo J. Baez war, soll B. Wegner werden
Alles verbindende Hauptrolle spielt aber natürlich die Musik. Am 6. Mai verhandelt man das Thema „Rotes Tuch und Rettungsanker – Die Rockszene der DDR im Schatten des Woodstock- Festivals“. Dazu wird sicherlich auch der Popprof Peter Wicke etwas sagen können, der an einer Podiumsdiskussion teilnehmen wird – musikalische Darbietung: Bettina Wegner. Zum Abschluß gibt's eine „Lange Nacht der Elektronik“.
„Großereignis“ ist ein Open- air-Festival am 10. und 11.6. mit vielen Hellersdorfer Bands, mit Engerling und... den Puhdys als Staract. Die nämlich haben sich im Woodstock-Jahr '69 gegründet. Der Name Puhdys, heute klingt das fast lächerlich, war damals heftig umstritten, weil er „nichts bedeutete“. Gruppen hießen nüchtern „Theo-Schumacher-Combo“, so wie Kartoffeln eben eine Sättigungsbeilage waren. „Geh zu ihr, und laß deinen Drachen steigen“ heißt es ziemlich unmißverständlich bei den Puhdys. Während im Westen immer noch die Fetzen auf der Straße und vom Leib flogen, war in der DDR längst wieder der Alltag eingezogen. Kommunen gab's nicht, freie Liebe war geheim, Nacktbaden wurde wichtig. Drogen, wichtiger Bestandteil der Befreiung im Westen, waren im Osten nahezu unbekannt. Auf meine Frage danach bedanken sich die Veranstalter für die Anregung, aber sie seien selbstredend gegen Drogen – wie man an den leeren Joints sehen könne.
Die rührigen Organisatoren haben ihrem „Mini-Woodstock“ durch die Ausklammerung von Sex and Drugs aus dem Kosmos Rock 'n' Roll ein wenig die Sprengkraft geraubt. Es sieht so aus, als steckten die alten Ängste vor sexuellen und sozialen Revolutionen ihnen noch in den Knochen. Auch für Hellersdorfer Jugendliche dürften die Puhdys allein nicht für eine Neuauflage des Summer Of Love taugen. Da müßte es schon arg doll regnen.
Die nächste Veranstaltung in der Reihe Café Voyage findet am 25. März statt, ein Vortrag (mit Musikbeispielen!) zum Thema „Frank Zappa – Figur der 68er?“ Informationen: Volkshochschule Hellersdorf, Tangermünder Straße 30, Telefon: 991 81 16.
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