„Wir hoffen auf ein Haus in Ma'ale Adumim“

Unter den jüdischen Siedlern in den israelisch besetzten Gebieten ändert sich die Stimmung / Die Angst hat zugenommen / Manche packen schon im stillen ihre Koffer  ■ Aus der Westbank Julia Albrecht

Sie verbreiten die Atmosphäre von „Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten“, von Marlboro oder Camel, von Männern eben, deren Hoffnung nach Freiheit und Ungebundenheit, nach Natur, Luft und Licht genau hier, auf diesem Flecken, in Erfüllung gegangen ist. Auf ihren vierrädrigen Maschinen – eine Mischung aus Motorrad und Trecker – rasen sie über die staubige Piste im äußersten Osten des Westjordanlandes, springen über kleine Erdhügel und haben ihre Maschinen dabei so gut im Griff wie ein Cowboy sein Pferd. Von hier ist es nur ein Katzensprung bis zum Wasser des Jordan, der seit 1967, seit der israelischen Invasion in die Westbank, die Waffenstillstandslinie zu Ostjordanien markiert.

Markus und Jair sind Siedler in der besetzten Westbank. Sie sind seit ein paar Jahren hier, haben Frauen und Kinder. Sie gehören zu den Ältesten, dabei sind sie erst knapp über 30. Die kleine Gemeinschaft umfaßt 26 Familien. Die ersten kamen 1982. Seitdem wohnen sie in Wohnwagen, große Kisten aus schmutziggelbem Holzimitat. Um die Wagen herum haben sie kleine Flächen abgezirkelt: die Illusion eines Gartens, ansonsten nur Staub.

Die Piste, auf der sie ihre Rennen fahren, und die sandigen Wege haben mit der Unendlichkeit Kanadas, Amerikas oder auch der des Westjordanlandes nichts gemeinsam. Die Fläche der Siedlung ist in Minuten nach allen Seiten abgegangen. Der Katzensprung zum Jordan ist eine Phantasie – davor ist Stacheldraht. Nur der Blick kann nach Osten schweifen, zum heller werdenden Boden des Jordantals und hinüber nach Jordanien. Und natürlich in die andere Richtung, auf die Berge der judäischen Wüste, auf das Kloster, das dort errichtet wurde, wo Jesus nach der Legende das erste Mal vom Teufel in Versuchung geführt wurde. Die mit Worten beschworene Einmaligkeit des Ortes, der Zauber der Gegend, kann nicht genossen werden. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Hier wagt sich keiner über den Zaun, und niemand geht spazieren, niemand macht einen Ausflug zum Bach. Hinter dem Zaun beginnt Feindesland – oder, richtiger gesagt: die Realität der besetzten Gebiete.

Aber auch innerhalb der eingezäunten Idylle lauert der Feind. Schon hat man sich auf thailändische Fremdarbeiter verständigt. Sie sollen die hier angestellten „Araber“ – sie sagen „Araber“ und nicht „Palästinenser“ – ersetzen. „Mit den Arabern“, sagt Jair, sei es „ein Problem. Ich zeige euch das Problem.“ Er zieht ein langes, scharfes Messer hervor. „Die Arbeiter, die Araber, die die Gewürze schneiden, haben alle solche Messer. Auch wenn man sie schon Jahre kennt, kann es passieren, daß sie dich niederstechen.“ Solche oder ähnliche Sätze tauchen in jedem Artikel über Siedler auf. Natürlich ist das auch schon geschehen. Siedler wurden von palästinensischen Arbeitern erstochen, die jahrelang für sie gearbeitet hatten.

Für Jair ist das Verwunderliche an derartigen Taten, daß die Täter doch „so was wie Freunde waren...“. Aber gibt es das, Freundschaften zwischen Besatzern und Besetzern? Wie dem auch sei, die Siedler in Na'ama jedenfalls haben beschlossen, die „Araber“ durch Thailänder zu ersetzen, dann gebe es zumindest ein Problem weniger.

In den Tagen nach dem Massaker von Hebron machen wir eine Fahrt durch einen Teil der Westbank. Wir besuchen säkulare und religiöse Siedlungen zwischen Jericho und Jerusalem: große und kleine, solche, die schon seit den siebziger Jahren bestehen, und solche, die erst vor kurzem gegründet wurden. Wir folgen einem Sattelschlepper, der zwei Fertighäuser transportiert, und gelangen zu einer Siedlung, die gerade erst im Entstehen ist.

Vielleicht liegt es an unseren Fragen. Vielleicht haben sich die Siedler daran gewöhnt, diese immer gleichen Fragen mit immer gleichen Antworten zu bedenken. Fragen von Personen, die nicht verstehen, daß sie das Land, das sie palästinensischen Bauern weggenommen haben, nicht für einen Frieden zwischen Israel und Palästina räumen wollen. Und so gleichen sich die Antworten wie ein Ei dem anderen. Von der Schönheit des Ortes und der Güte der Luft wird gesprochen. Auf die Gemeinschaft Gleichgesinnter und auf die Geborgenheit der Kinder wird verwiesen. Keine Drogen, keine Gewalt, kein Streit.

Immer noch klingt hier der alte Mythos des Kibbuz-Lebens an: der Pionier- und Gemeinschaftsgeist der ersten Stunde. Dabei haben die Siedlungen mit den Besonderheiten des Lebens im Kibbuz nichts gemein. Jedem gehört das Seine, jeder erzieht die eigenen Kinder, jeder verdient in die eigene Tasche. Es sind Klischees, die man sich schon nach kurzem nicht mehr anhören mag. Aber offenbar glauben sie selbst daran. Andernfalls hätten sie längst gehen müssen. Zu augenfällig ist, daß ein Frieden mit den Palästinensern nicht kommen wird, solange die jüdischen Siedler das besetzte Land nicht hergeben.

Markus weist auf die Berge im Westen. Schroffe Hänge in gelblichen Schattierungen, wüste Berge, Wüstenberge, mit Schnitten und Senken, an deren Anstiegen jetzt im Frühjahr prachtvolles Lila und Rosa der Pflanzen blüht. „Das alles wird zum autonomen Jericho gehören.“ Nur diese kleine Enklave ist ausgespart worden, um zumindest für den Moment zu vermeiden, daß die Siedlung in das unmittelbare Teilautonomie-Gebiet einbezogen wird. „Dort wird es eine neue Straße für die Araber geben, diese Straße hier wird unsere bleiben.“

Dennoch gibt es ein Problem. Die Kinder in der Siedlung werden jeden Tag mit einem Bus in eine 10 Kilometer entfernte Schule gefahren. Sie werden von Militärfahrzeugen begleitet. Dabei müssen sie demnächst durch ein von den Palästinensern verwaltetes Dorf fahren. „Dort stehen die Häuser nur vier Meter von der Straße entfernt. Nichts ist leichter, als von dort unsere Kinder anzugreifen. Dagegen kann niemand was tun.“ Wann also werdet ihr hier weggehen? Sie haben jetzt schon mehrere Zigaretten geraucht und nähern sich zögernd der eigentlichen Frage: Wieso sie hier sind, wieso sie noch hier sind, wieso sie nicht gehen. Sie sprechen nun über das, was sie wirklich beschäftigt. Und wenn es um die Kinder geht, dann geht es um die Angst.

Ein richtiger Cowboy hat keine Angst um das eigene Leben, weiß, wofür er es einsetzt, kann alles mögliche erfinden, um sich selbst Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Aber wenn es um die Kinder geht, dann wird auf einmal eine andere Sprache gesprochen. „Ich will nicht, daß meine Tochter in Gefahr kommt. Wenn meine Tochter oder meine Frau in Gefahr sind, dann wäre das ein Grund zu gehen.“ Also gut. Warten wir also noch ein Weilchen, bis die Angst zugenommen hat.

Doch eine Antwort ist offenbar resistent gegen alle Ängste. Wir hören sie in allen Siedlungen, die wir in diesen Tagen besuchen: „Das ist unser Land.“ Bei dieser Referenz an die Thora grinsen sie, denn sie wissen schon, daß es keine Erklärung gibt, die diesen Satz, der ein Argument sein soll, stützen könnte. Es ist dieser Satz, der wie ein Schutzschild wirkt, wie eine Festung, hinter deren Mauern man nicht dringen kann. In ihm soll die Geschichte der Juden anklingen, die Geschichte einer Thora, die noch heute dazu dient, den Anspruch auf bestimmte Flecken Land unwiderlegbar zu machen. Längst haben sich liberale Religiöse die Mühe gemacht zu zeigen, daß den Juden nach der Thora zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche Landstriche zugeschrieben wurden.

Siedler wie Markus und Jair sind Lichtjahre entfernt von Siedlern wie denen in Kiriat Arba bei Hebron. Sie haben mit den radikal- religiösen Kahanisten und Kachisten nichts gemein. Auch wenn sich die Worte gleichen. Die Sätze, die sie sagen, sind nicht zur undurchdringlichen Ideologie geworden, sie dienen nur dem Interesse des Augenblicks. Für die radikal- religiösen Siedler in Kiriat Arba ist das anders. Für sie funktioniert der Satz „Das ist mein Land“ wie ein Vorposten in Zeiten des Krieges. Geben wir hier auf, so heißt es, dann müssen wir bald auch Yafo oder Akko an der israelischen Mittelmeerküste aufgeben.

Im Verlaufe der Gespräche bekommen wir den Eindruck, daß viele Siedler insgeheim schon lange dabei sind, die Koffer zu packen. Ihre Angst nimmt zu. Und es gibt noch andere Anzeichen. Die Siedler berichten von hohen Politikern, die sie besuchen kommen, um die Stimmung zu erforschen. Und sie erzählen wie nebenbei, daß sie manchmal „im Spaß“ darüber reden, für wieviel Geld sie sich davonmachen würden. Geld spielt eine wichtige Rolle. Als sie sich in ihren jetzigen Häusern niederließen, wurden sie von der Regierung unterstützt. Die Häuser gab es sozusagen umsonst, die Gewächshäuser wurden bezuschußt, und billige Kredite waren leicht zu bekommen. Und was wäre, wenn sie diese Häuser verlassen müßten?

In der als religiös und radikal bekannten Siedlung Mitzpe Jericho wird mein Eindruck überraschend bestätigt. Hier hatte ich vor Wochen mit Shoshana gesprochen, einer gläubigen Jüdin aus Deutschland, die mir wortreich erklärte, daß sie niemals gehen würde. Als ich sie zufällig wieder treffe, ist es weniger ein professioneller Besuch als ein Wiedersehen. Ich frage Sie, als wäre es die normalste Frage der Welt: Und, wann ziehen Sie um? Und sie antwortet, als wäre es die naheliegendste Antwort der Welt: „In zwei Jahren wird es soweit sein. Dann werden wir hoffentlich ein Haus in Ma'ale Adumim bekommen, dann gehen wir hier weg.“

Ein wirkliches Weggehen ist es nicht. Auch Ma'ale Adumim ist eine Siedlung in der Westbank, eine der größten und in der Beschreibung der Israelis „die erste Stadt in den besetzten Gebieten“. Auch wenn der geplante Umzug keinen wirklichen Rückzug vom Siedlerdasein bedeutet, so ist er doch für Shoshana und aus Siedlerperspektive ein Schritt der Mäßigung. – Zumal selbst die Palästinenser nicht hoffen können, daß eine Siedlung wie Ma'ale Adumim an sie zurückgegeben wird. Deshalb auch, fügt Shoshana hinzu, dürfe niemand in der Siedlung von dem Plan wissen, andernfalls, so fürchtet sie, wäre der soziale Kontakt zu ihren Mitbewohnern sofort zerstört.