„Sicherheits“-Kordon um Kurdistan

Die türkischen Behörden bereiteten sich auf ihre Art auf das heutige kurdische Neujahrsfest vor. Mitglieder deutscher Delegationen, die als „Newroz“-Beobachter nach Kurdistan gereist waren, wurden massiv eingeschüchtert und abgeschoben.

„Es war eine Unverschämtheit, wie man uns behandelt hat. Man hat etwas zu verbergen, sonst würde man anders mit Delegationen umgehen“, faßte Ursula Meer gestern in Istanbul ihre Erfahrungen mit dem türkischen Staat zusammen. Die Rechtsanwältin aus Karlsruhe war als Mitglied einer 57köpfigen Delegation am Samstag nach Kurdistan gereist, um das kurdische Neujahrsfest Newroz und die Kommunalwahlen vom 27. März zu beobachten. Am Mittag war die Gruppe auf dem Flughafen der südostanatolischen Stadt Van von der Polizei empfangen worden.

Noch vor Eintritt in die Flughafenhalle verlangte ein Polizist alle Pässe der Gruppe. Der stellvertretende Gouverneur der Provinz Van war extra am Flughafen erschienen, um die Gruppe in Empfang zu nehmen. Man hieß die Gruppe herzlich willkommen und sprach über die „traditionell guten türkisch-deutschen Beziehungen“. „Ruhen Sie sich aus. Wir wollen mit Ihnen ein paar Gespräche führen“, hieß es.

Doch die von der Polizei abgeschirmte Flughafenhalle sollte zu einer Art Gefängnis für die Delegationsteilnehmer werden. Die Gruppe wurde schikaniert, ununterbrochen filmte die Polizei mit Videokameras, und mehrere Stunden lang wurde die Kontaktaufnahme der Gruppe zur deutschen Botschaft verhindert.

Schließlich begann sich die Polizei auch für die türkischen Staatsangehörigen, die die Gruppe als Dolmetscher begleiteten, zu interessieren. „Wir haben Schreckliches befürchtet. Schließlich sind in der Vergangenheit schon mehrfach Dolmetscher von ausländischen Delegationen festgenommen und gefoltert worden. Wir haben einen Kreis um die Dolmetscher gebildet und zum Ausdruck gebracht, daß wir alle zusammenbleiben“, sagte Rechtsanwältin Meer.

Die Gruppe wurde vor die Wahl gestellt, entweder unter staatlicher Kontrolle und polizeilicher Begleitung – die Behörden hatten eigens einen Bus organisiert – nach Van zu reisen oder direkt mit dem Flugzeug zurückzureisen. Nicht zuletzt wegen begründeter Bedenken, was die Sicherheit der Dolmetscher anbelangte, entschied sich die deutsche Gruppe zurückzufliegen. Nichtsdestotrotz wurde einer der Dolmetscher – die Gruppe befand sich bereits auf dem Rollfeld – unter einem abwegigen Vorwand festgehalten. Als sich daraufhin die Gruppe weigerte, das Flugzeug zu besteigen, ließ die Polizei ihren Rachegefühlen gegenüber den Deutschen freien Lauf. Ursula Meer: „Plötzlich wurden wir von rund zwei Dutzend Polizisten in Zivil angegriffen. Sie schlugen mit Fäusten auf uns ein und versetzten uns Tritte. Ich habe etwas an der Niere abbekommen. Insbesondere aber waren unsere türkischen Freunde Hauptziel der Schläge.“

Die Prügelszene dauerte wenige Minuten. Einschließlich der Dolmetscher wurde die Delegation ins Flugzeug gehievt und aus Van abgeschoben. Ohnehin hatte die Polizei für den Fall, daß die Gruppe den Flughafen verlassen hätte, vorgesorgt. Während sich die Flughafenszenen abspielten, wurde in Van der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Necmi Gür festgenommen. Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum kurdischen Neujahrsfest Newroz, das heute gefeiert wird, wurden allein am Samstag 235 Personen festgenommen, berichtete die Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem.

„Unsere Präsenz sollte verhindern, daß Übergriffe schlimmster Art passieren“, berichtete Delegationsteilnehmerin Ursula Meer. Doch die Delegation hat Kurdistan nur in Form des Flughafengebäudes von Van kennengelernt. In dem Istanbuler Hotel, wo die Gruppe sich gestern aufhielt, wimmelte es von Zivilpolizisten. Anderen Delegationen erging es nicht besser. Nach Angaben des Koordinationsbüros Newroz in Frankfurt/ Main saßen am Samstag mindestens 121 Menschen, darunter 98 Deutsche, in verschiedenen türkischen Städten fest.

Abschiebungen gab es außer in Van auch in Diyarbakir, Tunceli und Agri. Das Schweizer Außenministerium teilte am Sonntag mit, zehn von dreiundzwanzig Mitgliedern auch der Schweizer Delegation seien in Van vorübergehend die Pässe abgenommen worden. Mitglieder der deutschen Delegation seien sogar verhaftet worden. Das Auswärtige Amt in Bonn bestätigte dies aber nicht.

Der Generalsekretär des türkischen Menschenrechtsvereins, Akin Birdal, hat wegen der Behandlung der Delegationen, die sich aus Abgeordneten kommunaler Parlamente, Juristen, Gewerkschaftern, Lehrern und Journalisten zusammensetzen, offiziell Protest beim türkischen Innenminister Nahit Mentese eingelegt. Ömer Erzeren, Istanbul