Der Nöhl-Transporter unterwegs

■ Definitionen von Rock beim sonntäglichen Konzert von Baby und Die Regierung

Rock-Kritiker beschreiben manchmal noch heute ihre Lieblingsmusik wie eine Landschaft. Der Nachhall von Gitarrenakkorden steht für ihre sichtbare „Weite“. Die unverschwitzten, übersichtlichen Arrangements symbolisieren wohlriechende, kurortanzeigende „Luftigkeit“. Die unbebaute Landschaft besitzt eine „Energie“, die sich unbehindert von Autobahnen oder Einfamilienhäusern nichts als entwickeln, ausbreiten, steigern will. Die Tatsache, daß in der Landschaft manchmal auch Bäume stehen, die schon vor der Geburt des Urgroßvaters dort standen, macht ihr „Geheimnis“ aus. Weil es die Landschaft aber oft nicht mehr gibt, ist die „Sentimentalität“ erlaubt.

Sonny Motor wuchs in der Landschaft Dithmarschens auf. Der Gitarrist spielte jahrelang mit der Gruppe Huah! Wie der Rock-Kritiker beim Schreiben lernte Motor die Schwierigkeit kennen, beim „Rocken“ nicht immer wieder beim „Nachmachen“ zu landen. Motor betreibt nach wie vor das existentielle Unternehmen, sich lautstark von der Langeweile zu unterscheiden. Mit seiner neuen Gruppe Baby zeigte er am Sonntag in der kleinen Markthalle wie straighte Akkorde das Leben behutsam erneuern.

Die gehörte Zusammenkunft von Sentimentalität und Energie durchzieht Rezensionen von der Regierung. Die sechs sturmbereiten Noisemaker spielten nach Baby um, wie es Engländer sagen, das Haus herunterzubringen. Sänger Tillmann Rossmy stampfte auf und würgte mit beiden Händen sein Mikrophon. Seine Band setzte mit großer Kraft ihre erste Qualität an diesem Abend in Szene: Aus Gefühlen einen voluminösen Schwallwall zu machen. Die Regierung war das Auto, welches die Landschaft mag und durch schöne Staubwolken und spannende Motorengeräusche optisch und akustisch sinnvoll ergänzt. Das Auto ist eine alte Metapher. Aber noch heute erreicht man mit ihm am schnellsten die Orte, wo Geschichten ab- und neue Bekanntschaften geschlosssen werden.

Rossmy macht mehr als je auf Bühnen klar, daß Männlichkeit eine Frage des Soundtracks ist. Er hat gute Gründe, um mit Akkorden für den Hausgebrauch jeweils eine Rumba anzuschieben oder The Sound of Power-Pop zu definieren. Und einen für seine Singart: der Nöhl-Transporter läßt sich besser fahren als der melodische Lyrik-LKW. Kristof Schreuf