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Von Stund' an Besserung

■ Expertenkommission: „Unverantwortbare Zustände“ in Santa Fu / Aber kein Zusammenahng mit dem Mord an Dieter J. Von Sannah Koch

Das Mündel ist verwahrlost, zeigt Spuren jahrelanger Vernachlässigung. Jetzt hat ein Vormund Erbarmen: Er zerrt das Elend ans Tageslicht und verspricht von Stund' an Besserung. Und wenn sie nicht gestorben sind... Stop, so weit sind wir noch lange nicht.

Also von Anfang an: Der Vormund heißt Klaus Hardraht und ist der neue Hamburger Justizsenator. Das Mündel trägt den Namen „Santa Fu“, verbirgt hinter maroden Mauern über 540 Gefangene – und die brauchen dringend Beistand. Denn ihre Lebensumstände sind „skandalös und menschenunwürdig“. Mit ungewohnt deutlichen Worten beschrieb Hardraht gestern die „besorgniserregende Situation“ in der Fuhlsbüttler Justizvollzugsanstalt II.

Als Souffleuse stand ihm die Untersuchungskommission zur Seite, die er nach der Ermordung des Gefangenen Dieter J. im Januar eingesetzt hatte. Ihr Bericht untermauert Hardrahts drastische Analyse: „Die Zustände sind dort auf Dauer nicht veranwortbar“, so die Kommissionsvorsitzende und Direktorin am Amtsgericht, Ursula Gerhardt-Plewig. Allerdings: Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Mord und den Sicherheitsmängeln in der Anstalt mochten die Experten nicht entdecken. Die Tötung von Dieter J. könne aber durch die angespannte Lage unter den Insassen begünstigt worden sein.

Angespannt ist sie nach Auffassung der Kommission aus mehreren Gründen: Wegend es schlechten baulichen Zustands, der Überbelegung und des wachsenden Drogenkonsums. Hektisch, unübersichtlich und von Angst und Mißtrauen geprägt, so beschreiben die Insassen das Klima.

Nicht nur die chronische Überbelegung und die Mischung von Kurz- und Langsträflern sind Ursache der atmosphärischen Probleme: Fehlende Türschlösser nehmen den Gefangenen jegliche Rückzugsmöglichkeit und erleichtern Zelleneinbrüche, der „panoptische“ Bau mit den offenen Zwischendecken macht zudem einen Gruppenvollzug fast unmöglich. Kalte, feuchte Zellen (Hardraht: „säuischer Zustand“), schlecht belüftete Flure ohne Tageslicht und eine Katastrophenküche, die das Gesundheitsamt seit Jahren zu schließen droht, runden das miese Bild ab. Mit fünf Millionen Mark will Hardraht jetzt erste bauliche Verbesserungen in Angriff nehmen.

Ein gewaltiges Problem: Etwa 200 der Gefangenen sind Junkies. „Drogenabhängigen kann man im Strafvollzug nicht helfen“, beklagt der Senator. Die Probleme lindern soll nun die Ausweitung des Substitutionsprogramms auf 60 Plätze und eine verstärkte Fortbildung der Vollzugsbeamten. Auch werde geprüft, ob die Vergabe steriler Spritzen rechtlich doch möglich ist. „Ich will der Frage nachgehen, ob man langfristig alle Abhängigen in einer gesonderten Therapie-Anstalt zusammenfassen kann“, so Hardraht. Experten-Kommissionen sollen ihm bei der Erarbeitung neuer Konzepte behilflich sein.

...dann tagen sie noch heute.

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