„Nur Wartung“

■ Keine Alternative: Behindertenverbände enttäuscht von niederländischem Projekt

Auch die Niederlande können es nicht besser: die 30-köpfige Gruppe von Behinderten und Nichtbehinderten, die sich letzte Woche zu einer Informationsreise zu den „Focus“-Projekt-Wohnungen in Groningen zusammentat, brachte kein Alternativmodell zur deutschen Form der Individuellen Schwerbehindertenbetreung (ISB) mit. Die Erwartung, ein attraktives Konzept für integriertes Wohnen von Behinderten im Stadtteil kennenzulernen, wurde jedoch enttäuscht.

12 bis 15 Wohnungen sind in ein niederländisches Focus-Projekt integriert und um eine Zentralstelle vesammelt. Dort stehen jeweils zwei HelferInnen bereit, um bei Bedarf in die Wohnung gerufen zu werden, und die gewünschte pflegerische Hilfe anzubieten.

„Was Focus anbietet, ist ganz einfach nur eine Dienstleistung mehr!“ – das steht für Marlies Kawohl vom Paritätischen Wohlfahrtsverband nun fest. Als reiner Dienstleistungsbetrieb habe das Projekt aber durchaus eine Lücke abzudecken: für die Leute, die nur wenig Hilfe benötigen – für Toilettengänge beispielsweise oder nachts, wenn Behinderte im Bett umgedreht werden müssen.

Jörg Vosteen, zweiter Vorsitzender im Selbsthilfe-Verein „Integrationsförderung“ findet das Angebot der Individuellen Schwerbehinderten-Betreuung, wie es der Paritätische, die Arbeiterwohlfahrt und eine Genossenschaft in Bremen anbieten, weitaus sympathischer: „Dort ist der Kontakt intensiver, der Pfleger und der Betroffene lernen sich kennen“. Focus dagegen, so greift Vosteen die zynische Sprache des Beamtendeutsch auf, führen nur „Wartungstätigkeiten“ an den Behinderten aus. „Da kommt immer wieder jemand anders - dann könnte ich doch gleich meine Anweisung auf Band sprechen!“

Trotzdem, berichtet Marlies Kawohl, ist die Warteliste für die behindertengerechten Wohnungen des niederländischen Modells lang - eine individuelle Betreuung über längere Zeit wie durch die ISB ist nicht zu haben. Die Mitarbeiterin beim Paritätischen gewann jedoch den Eindruck, daß die Nachbarschaftshilfe besser funktioniert als in Deutschland. Das Focus-Modell basiert ganz wesentlich auch auf ehrenamtlicher Arbeit: Nachbarn und Freunde übernehmen den Einkauf, helfen bei Ausgängen etc.: Tätigkeiten, die hier auch durch die ISB-Pfleger wahrgenommen werden.

Jörg Vosteens Befürchtung, der Senat würde „Focus“ vielleicht gerne zum Modell für neue Sparbeschlüsse machen, weiß er sogleich selbst zu beruhigen: Die Zentralstelle arbeitet nicht eben kostengünstiger als die ISB, denn auch sie braucht je Projekt mit etwa 30 Behinderten einen Stamm von zwanzig HelferInnen. Trotzdem, so erzählt der Rollstuhlfahrer, „herrscht unter uns Behinderten ein riesiger Druck und Angst vor neuen Sparbeschlüssen der Stadt, immer wieder überlegt man: was denken die sich nun wieder aus?“

Bettina Stang