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Perfekt frisiert mit Optimod

■ Was die Privatsender im Rennen um die Quote alles mit der Musik anstellen: Ein Besuch bei Radio ffn

Das durchschnittliche Privatradio leidet unter einem lustigen Dilemma: Es darf nur eingängige Musik spielen, es muß sich aber, damit die flüchtigen Hörer auch hängenbleiben, ganz unverkennbar vom Sender nebenan unterscheiden, der genau das gleiche tut.

Das ist die Stunde der Tontechniker. Es gibt inzwischen kaum mehr einen Sender, der nicht rabiat seinen Sound auffrisiert. Wo nämlich die immergleichen Hits am lautesten, am strahlendsten, am breitesten klingen, da sammelt sich wie von ungefähr das Hörervolk. Einige Studien haben das belegt. Und die Sender, nicht faul, drehen nunmehr an allen Knöpfen.

Auch Radio ffn im nahen Isernhagen hat schon vielerlei Teufelswerk ausprobiert, zum Beispiel das allseits übliche Spreizen des Stereo-Effekts. Das geht, indem man einen von beiden Kanälen um eine Winzigkeit zeitversetzt sendet. Die Hörer empfinden den Sound dann prompt als flächiger und breiter. Bei ffn ist man allerdings inzwischen wieder davon abgekommen. Da gilt auch fürs beliebte „Pitchen“. Dieses Verfahren besteht einfach darin, die Stücke ein bißchen zu schnell abzuspielen. Die CD-Player in den Studios verfügen in der Regel über diese Option. Zwar kommt heute ohnehin schon alles, was populär ist, mit mindestens 120 Beats pro Minute daher, aber die weitere Beschleunigung um bis zu drei Prozent verschärft den Eindruck der Munterkeit offenbar entscheidend.

Das Hauptmittel des Auffrisierens kommt aber auch bei ffn nach wie vor und immer ausgetüftelter in Anschlag, das sogenannte „Sound Processing“. Darunter haben wir uns das Komprimieren und Hochpumpen des Sounds per Computer vorzustellen, dergestalt, daß am Ende keine keine leisen Stellen oder sonstigen Atempausen bleiben, weil alles verläßlich im oberen Lautstärkebereich dröhnt.

Nur setzt die Post als Eignerin der Übertragungswege dem Spiel nach oben hin Grenzen. Deshalb werden beim „Sound Processing“ zusätzlich bestimmte Frequenzen vor allem im tiefen und hohen Bereich verstärkt, so daß sich wenigstens der Eindruck eines besonders satten und damit subjektiv lauteren Sounds einstellt.

Diese Feinregulierung macht dann auch die Eigenart des Senders aus, abhängig vom angestrebtem Publikum. Das Hamburger „OK Radio“ mit seinem hip-hoplastigen Programm für eine sehr junge Hörerschaft gilt zum Beispiel als Prügler unter den Sendern, weil dort sowohl Moderation als auch Musik absolut lückenlos an die Obergrenze getrieben werden.

Anderswo hat man wieder andere Rezepte, und Tom Petersen, der stellvertretende Musikchef von ffn, ist davon überzeugt, daß man heute einen jeden Sender an seinem Sound erkennen kann, und zwar unabhängig davon, ob gerade ein Oldie oder irgendeiner der neueren Hits läuft.

Dieses Wunder der Zurichtung besorgt ein kleiner schwarzer Kasten namens „Optimod“, den man bei ffn inmitten der Milliarden von Lichtchen und Reglern garantiert übersieht. „Optimod“ ist eine Art vollautomatisches Mischpult. Jahrein, jahraus hält es den Sound in Schwung, je nachdem, wie man's einmal pogrammiert hat. Es kann wahlweise eher die Melodien hervorheben oder eher den Rhythmus, und theoretisch könnte „Optimod“ auch gerne die ältesten Heuler tanzbar machen, indem es einfach die Frequenzbereiche der Percussion verstärkt, aber bei ffn ist man schon froh, daß der Normalbetrieb nun einigermaßen funktioniert.

„Am Anfang klang das oft ziemlich scheußlich“, sagt der Tontechniker Wille Bartz. „Hauptsache laut“, hieß es damals, und schwere Verzerrungen waren die Folge. „Zudem sind die CDs ja heute auch schon selber alle prozessiert“, sagt Bartz. „Man weiß nur nie genau, wie. Das gibt manchmal ganz häßliche Rückkopplungseffekte. Man muß da schon immer noch ziemlich aufpassen. An den Knöpfen drehen kann heute jeder. Umso größer ist die Gefahr, daß gepfuscht wird.“

Davor kann auch „Optimod“ nicht behüten. „Allein die Handbücher dafür sind ja schon so dick wie die Buddenbrooks“, sagt Ulf Marquardt, der stellvertretende Produktionsleiter bei ffn. Aber man nehme es im Hause sowieso nicht gar so penibel mit der Einheitlichkeit, also Durchhörbarkeit des Sounds. „Wir sind ja auch einer der wenigen Sender, der sich ab und zu noch einen Formatbruch leistet“.

Die bekanntesten Formatbrüche veranstaltet jeden Sonntag die einzige deutsche Comedy-Redaktion mit dem urogenital veranlagten „Frystyxradio“. Dem erklärten „Format“ von ffn kommt es nicht gerade zupaß; dieses soll eher ein Mittelding zwischen dem sehr erfolgreichen „Adult Contemporary“-Format für die Mittelalten und dem „Contemporary Hit Radio“ für die Jüngeren sein. „Für Leute zwischen 20 und 40 alle Hits zwischen den Pet Shop Boys und Brian Adams, obwohl die Fans der einen die Musik der anderen hassen: Das ist unser Spagat“, sagt Tom Petersen.

Um dennoch eine erkleckliche Quote bei der Stange zu halten, bietet ffn ein ganzes System von Technik und Publikumsforschung auf. Die Hauptarbeit erledigt das bei Privatradios allseits beliebte Computerprogramm „Selector“. Es bestimmt jede Woche selbständig, welche Titel in welcher Reihenfolge gespielt werden. Die Kriterien, die es anwendet, können frei gewählt werden; die gebräuchlichsten sind Tempo und Intensität.

„Selector“ sorgt dann dafür, daß alles wohlsortiert und abwechslungsreich vonstatten geht, daß nicht erst Phil Collins solo und dann mit Genesis zu hören ist, daß der Abend ein anderes Programm hat als der Morgen, und daß jedesmal nach den Nachrichten ein schnelles, lautes Stück wieder Leben in die Bude bringt.

Bei ffn kann „Selector“ immerhin noch aus einem Repertoire von 1100 Titeln wählen, die man ihm mit den passenden Auswahlcodes eingegeben hat. Andere Sender haben nicht mal mehr das. „Früher waren's bei uns mal viertausend“, schätzt Ulf Marquardt.

Der Preis des Erfolgs ist konsequenter Populismus. „Die meisten Leute wollen ihre Lieblingsmusik hören, sonst nichts“, sagt Tom Petersen.

Um herauszufinden, was das ist, läßt ffn jede Woche von einer Bremer Agentur Telefonumfragen machen, wo den Leuten sogenannte „Hooks“ vorgespielt werden. Das sind Zehnsekundenschnipsel von aller möglichen Musik, und die Testpersonen müssen unter anderm sagen, welche Titel sie auf der Stelle erkannt haben, welche sie nicht mehr hören können und welche ruhig mal öfters gespielt werden sollen.

Das reicht schon für eine erste Auslese: „Wenn die meisten einen Titel noch gut finden, aber 30 Prozent sind schon genervt, dann überlegen wir uns genau, ob wir den noch im Programm lassen“, sagt Petersen.

Zwar erbringt die ganze Forschungsarbeit in der Regel auch nichts Genaueres, als daß die beliebten Sachen eben ziemlich beliebt sind, „aber das gibt uns die Planungssicherheit, die wir brauchen“, sagt Petersen. „Wir würden ja zum Beispiel nach drei Wochen gar nicht mehr glauben, daß man Meatloaf immer noch spielen kann, aber beim Volk kann das manchmal sehr, sehr lange dauern.“

Um ganz sicher zu gehen, macht ffn einmal im Jahr einen großen „Auditoriumstest“, wo an zwei verschiedenen Orten je zwei- bis vierhundert Leute in ein Kino gebeten werden, und dann hören sie dort stundenlang „Hooks“ ohne Ende. Ihre Macht ist dafür enorm: Was dort gut ankommt, macht schon einmal zu rund drei Vierteln das ffn-Programms des folgenden Jahres aus.

Aktualisiert wird das Sortiment dann von der Musikredaktion, und zwar auf der wöchentlichen „Playlist-Konferenz“, wo aus je hundert Neuerscheinungen die vier, fünf ausgewählt werden, die zu ffn passen.

Die Wahl wird nicht einfacher dadurch, daß die Plattenfirmen oft schon eigene Versionen fürs Radio produzieren: mehr Melodie, weniger Soli, wenn überhaupt. In den USA gibt es sogar schon verschiedene Fassungen für verschiedene Radioformate, sagen wir vom Folk-Touch bis zum Hiphop-Touch. Davon kann hierzulande noch keine Rede sein. „Aber ohnehin wären rund 60 Prozent des neuen Materials auch jederzeit bei uns spielbar“, sagt Petersen. „Da geht es dann nur noch nach den Charts“.

Manfred Dworschak

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