Kosmetische Psychopharmakologie Von Mathias Bröckers

Es ist Winter 2030. Deine Arbeit läuft schlecht, deine Liebesbeziehung ist im Eimer. Niedergeschlagen und melancholisch langst du nach dem Computer und rufst Normo Psych an, einen On-line- Drogenservice, der sich auf Persönlichkeitswiederherstellung spezialisiert hat. Nach der Eingabe der Lebensgeschichte und des Personalprofils sowie einiger Virtual- Reality-Tests deiner Sensitivität und Stimmung lehnst du dich im Stuhl zurück. Ein paar Sekunden später füllt sich der Bildschirm mit einem rotierenden dreidimensionalen Bild des Gehirns. Die Diagnose lautet: „Serotonin im limbischen System, 15 % unter normal. Erhöhen durch täglich 100 Milligramm Mood Stim und Anti- Grief.“

So läßt das Wissenschaftsmagazin New Scientist seine jüngste Titelgeschichte beginnen – keine billige Parodie auf die „Schöne Neue Welt“, sondern ein Report über den aktuellen Stand der Neurochemie und den neuen Superstar am psychopharmakologischen Himmel: Prozac. Anders als alle bisher verwandten Antidepressiva wirkt die Prozac-Pille nur auf einen bestimmten Neurotransmitter, das Serotonin, von dem die Neurobiologen annehmen, daß es unsere Stimmung und Impulsivität reguliert. Prozac blockiert die Neuronen, die Serotonin absorbieren, und sorgt so für einen erhöhten Kreislauf des Stoffs im Gehirn – und eine deutlich verbesserte Stimmung. Begeisterte Psychiater berichten, daß die Droge auch noch Monate nach der Einnahme wirkt, weitaus weniger ernste Nebenwirkungen als bisher benutzte Psychopharmaka aufweist und selbst aus schweren Depressions-Patienten wieder glückliche Persönlichkeiten macht. Und nicht nur das: Prozac, so der US-Psychiater und Buchautor („Listening to Prozac“) Peter Kramer, „ist nur die Spitze eines pharmakologischen Eisbergs“ – von Drogen, die nicht nur depressive Patienten auf ihr gesundes Normalniveau zurückbringen, sondern die gesamte Persönlichkeit verändern: die Leute „fühlen sich besser als gut“. Kramer hat auch schon einen Namen für diese Art von Therapie gefunden: „Kosmetische Psychopharmakologie“.

Die Benutzung von Drogen, die die Stimmung beeinflussen, ist älter als die Menschheit, schon unsere tierischen Vorfahren nutzten sie, und die ersten Menschen entdeckten schnell eine Vielzahl von Methoden, ihr Bewußtsein mittels Pflanzenchemie zu verändern. Heutzutage würde ohne diese kleinen Helfer die öffentliche Ordnung sofort zusammenbrechen – nach drei Tagen ohne Bier bräche in Bayern die Revolution aus, ohne Koks käme in der Wall Street kein Börsenkurs mehr zustande – doch alle diese Helferlein, von Kaffee bis Cannabis, von Alkohol bis zum Tranquilizer, haben mehr oder weniger unangenehme Nebeneffekte – vom Kater bis zur Sucht. Nicht so die neuen Psycho-Pepper, sie verwandeln ohne den Umweg über den Körper und durch direkten Zugriff auf die Hirnchemie schlaffe Sesselhänger in energische Dynamiker, schüchterne Mauerblümchen in kontaktstarke Society-Bienen.

„Werden Drogen wie Prozac und was danach kommt die emotionale Vielfalt der Bevölkerung in humane Monokulturen verwandeln?“ fragt der New Scientist. Zur neurochemisch gestylten Designer-Persönlichkeit ist es nur noch ein kurzer Schritt.