: „Gott wird alles beobachten“
■ Wie Tunesiens Regierung mit einfachen Mitteln ein schönes Wahlergebnis erzielt
Tunis (taz) – Sonntag morgen um 10 Uhr im Wahllokal Nummer 28. Es befindet sich in einer Schule im Armenviertel Mallah der tunesischen Hauptstadt. Vor zwei Stunden haben die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen begonnen. Im Pausenhof stehen zwei Männer, die offenbar für die Stimmung zuständig sind. Einer bläst Trompete, der andere trommelt. Links ist das Wahllokal für die Frauen, rechts das für die Männer. Vor dem linken Eingang stehen etwa vierzig Frauen Schlange. An ihrer Kleidung kann man sehen, daß sie die Hausarbeit unterbrochen haben, um zwischendrin ihren „staatsbürgerlichen Pflichten“ nachzukommen. Auf einem Tisch am Eingang liegen die Stimmzettel; auf der einen Seite ein Stapel roter Zettel – für die Wiederwahl des einzigen Kandidaten, von Staatspräsident Zein Al-Abdin Ben Ali. Daneben sieben Stapel in verschiedenen Farben für die Parlamentswahlen. Außer der Regierungspartei des Staatspräsidenten „Konstitutionelle Demokratische Versammlung“ kandidieren sechs Oppositionsparteien. Die Zettel für die Regierungspartei haben die gleiche Farbe, wie die für den Präsidenten: Rot.
Auftritt von Hadsche Jaberah. Die alte Frau scheint genau zu wissen, was sie zu tun hat. Sie nimmt zwei rote Zettel vom Tisch, steckt sie in zwei Umschläge und schiebt sie in die Urne. Die anderen Frauen machen es ebenso. Nach dem Wahlgesetz müßte jede acht Zettel nehmen, damit hinter einem Vorhang verschwinden, um dort ihre Wahl zu treffen. Im Wahllokal Nummer 28 zieht man der geheimen Wahl die offene Abstimmung sichtlich vor.
Hadsche Jaberah begründet ihre Wahl: „Wir kennen keinen anderen guten Mann als den Präsidenten. Sicherheit haben wir erst, seit er regiert. Unsere Männer konnten Arbeit finden, er ließ Häuser und Schulen für uns bauen.“ Die anderen Frauen kennen auch keinen guten Mann außer dem Präsidenten. Der Leiter vom Wahllokal Nummer 28 ist stolz. Seit zwei Stunden ist das Lokal geöffnet, und schon jetzt haben fast zwei Drittel der registrierten Wählerinnen ihre Stimmzettel abgegeben. Am Wahllokal der Männer gegenüber sieht es anders aus. Nur wenige sind gekommen. „Jetzt sind sie im Café, nachmittags wird sich das ändern“, sagt der Leiter des Wahllokals.
Ein paar Kilometer von Tunis entfernt, in der Provinz Bin Arroussah, liegt die Kleinstadt Dares. Villen mit Gärten zeigen, daß hier wohlhabende Leute leben. Das Wahllokal Nummer 12 wurde in einem Kindergarten eingerichtet. Vor der Tür stehen zwei kleine Mädchen, von Kopf bis Fuß knallrot angezogen. Auf einem Tablett bieten sie den Besucherinnen knallrote Bonbons an. Drinnen im Wahllokal der Frauen duftet es nach schweren Parfums. Bis zum Mittag sind 40 bestens gekleidete Frauen erschienen, von 192 registrierten Wählerinnen. Gegenüber bei den Männern ein ähnliches Bild. 60 elegante Herren wurden gezählt, 209 sind im Wählerverzeichnis registriert.
In den meisten Wahllokalen waren nur Vertreter der Regierungspartei anwesend. Die Opposition hatte nicht genug Leute, um Beobachter zu entsenden. Auf die Frage, wer Verfälschungen und Brüche des Wahlgesetzes kontrolliert, sagt der Wahlleiter: „Gott wird alles beobachten.“
Am Nachmittag des Wahltages ist der Park im Zoo der Hauptstadt voller Spaziergänger. „Wir haben den Präsidenten und seine rote Liste gewählt“, sagen alle, die man anspricht. Auf die Frage, warum sie keine der Oppositionsparteien in Betracht gezogen hätten, kommt meistens die Gegenfrage: „Welche Opposition?“ Aber es gibt auch andere Stellungnahmen. Er sei „Khubsist“, sagt Saleh zum Beispiel, er kümmere sich also nur um sein tägliches Brot. Khubs bedeutet Brot. Saleh ist nicht wählen gegangen, weil die Wahlergebnisse längst klar waren. „Da genieße ich lieber das schöne Wetter.“
Am nächsten Morgen im Pressezentrum. Der Präsident soll 99 Prozent der Stimmen erhalten haben. Für seine Partei hätten 95 Prozent der Wähler votiert, für die Opposition nur 0,2 bis 2 Prozent. Der Khubsist Saleh muß zu einer sehr kleinen Minderheit gehört haben: Angeblich lag die Wahlbeteiligung zwischen 96 und 97,5 Prozent.
Einige Oppositionskandidaten werfen der Regierungspartei Verletzung der Wahlgesetze vor. Khomeis Al-Schumari, der Spitzenkandidat der größten Oppositionspartei „Demokratische Sozialisten“ in Bin Arrous, klagt, die Regierung habe ihren Wahlkampf mit öffentlichen Geldern bestritten, die Opposition habe schon mangels Geld keine Chance gehabt. Die Regierungspartei habe auch viele Wähler mit den Transportmitteln der öffentlichen Verwaltung in die Wahllokale bringen lassen. „Sie haben ihren Leuten im öffentlichen Dienst mit Entlassung gedroht, wenn sie eine der Oppositionsparteien wählen. Andere Leute wurden gewarnt, wenn sie nicht nicht für die Regierungspartei optierten, würden sie anschließend Schwierigkeiten mit den staatlichen Behörden bekommen.“ Dies alles habe nichts mit dem Präsidenten zu tun, der stets auf saubere Wahlen gepocht habe. Das Problem liege in der Mentalität der Funktionäre seiner Partei. „Es wird noch dauern, bis man in Tunesien Demokratie gelernt hat.“ Khalil Abied
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