piwik no script img

Welche Vorwahl bekommt Knin?

■ Kroatische Regierung und „Serbische Republik Krajina“ verhandeln in Zagreb / Maglaj-Belagerung nicht aufgehoben

Belgrad (taz) – Auf dem „neutralen Boden“ von Zagrebs russischer Botschaft treffen sich heute der kroatische Präsident Franjo Tudjman und Milan Martić, der „Präsident“ der selbsternannten „Serbischen Republik Krajina“. Ob bei dieser Gelegenheit Bewegung in die festgefahrenen Beziehungen zwischen beiden Seiten kommt, ist allerdings fraglich: Bisher konnten sich Tudjman und Martić nicht einmal darauf einigen, worüber sie verhandeln wollen.

„Die Straße, die die ganze Welt verarschte“ nennt der Volksmund die Hauptstraße von Knin, der 6.000-Seelen-„Hauptstadt“ der Krajina. Der Ort, der vor knapp drei Jahren die ersten Barrikaden des jugoslawischen Krieges erlebte, dünstet heute wieder kleinstädtische Langeweile aus. Belgrad ist 800 Kilometer entfernt, keine der dort erscheinenden Zeitungen erreicht Knin. Dafür gibt es ab und zu (und heimlich) eine Zeitung aus dem benachbarten Feindesland – und kroatisches Fernsehen.

Ein Modus vivendi, der die Krajiner Realität der nächsten zehn Jahre bestimmen könnte. Zwar sollen nach dem Willen der internationalen Vermittler heute in Zagreb infrastrukturelle Probleme wie Verkehr, Wirtschaft und Kommunikation gelöst werden, um später ein dauerhaftes Friedensabkommen zu schließen und zuletzt über den politischen Status der Krajina entscheiden zu können. Doch kurz nach Ende der bosnisch-kroatischen Kämpfe in der Nachbarrepublik Bosnien will Zagreb die Reihenfolge umdrehen. In der Praxis heißt das, daß z.B. das Telefonieren von Rest-Jugoslawien nach Kroatien technisch längst möglich ist. Aber weil die Krajiner Serben nicht nur die Währung, sondern auch die Telefonvorwahl von Jugoslawien übernommen haben – was Zagreb als Affront betrachtet – gibt die kroatische Post die Leitungen auch weiterhin nicht frei. Jelena S. aus dem serbisch besetzten Novi Grad kann also ihre Schwester im kroatisch gehaltenen Nachbarort Posedarje auch weiter nicht anrufen. Und jede Besuchsreise wird sie bis auf weiteres über Rest-Jugoslawien und Ungarn nach Kroatien führen.

Mit dem Auslaufen des UN- Mandates für die Krajina am 31. März drängt die Zagreber Regierung zudem darauf, dieses entweder ganz zu beenden oder um die Kompetenzen zu erweitern, die die UN-Truppen zur Erfüllung ihrer selbstgestellten Aufgaben – Rückkehr der kroatischen Flüchtlinge, Entmilitarisierung und Wiederherstellung der kroatischen Staatsgewalt über die serbisch besetzten Gebiete – bräuchten. Kroatien fühlt sich dabei nicht nur im Recht, sondern durch den Frieden an der bosnischen Front auch in einer starken Position. Schon am Samstag hatte Tudjman in Washington sein altes Angebot, ein Recht auf lokale Selbstverwaltung für die Krajiner Serben, wiederholt. Diese wiederum wollen über ihren politischen Status nur auf der Ebene einer internationalen Jugoslawienkonferenz verhandeln – sozusagen von Staat zu Staat.

Deshalb hatte Krajina-Präsident Martić auch Tudjmans Anwesenheit bei den heutigen Verhandlungen zur Bedingung für seine Teilnahme gemacht. Dieser wäre darauf wohl kaum eingegangen, wäre die Martić-Forderung nicht vom russischen Sondergesandten und Gastgeber in Zagreb, Witali Tschurkin, unterstützt worden. Dieser hatte auch die Idee eines „Staates im Staat“ in die Diskussion gebrachte. Letztendlich steht hinter der Krajiner Position natürlich Serbiens Präsident Slobodan Milošević, der die Serben Kroatiens als Verhandlungsmasse für eine künftige gesamtbalkanische Konzeption weiterhin braucht – etwa im Tausch gegen das Kosovo.

Derweil konnte das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) die sonntäglichen Meldungen über einen Abzug der serbischen Belagerungstruppen um die nordbosnische Stadt Maglaj nicht bestätigen. Diese hatten entsprechende Meldungen in der Nacht auf Montag dementiert. Morgen soll nach Angaben von UNO und UNHCR der erste Hilfsflug für Zentralbosnien auf dem Flughafen von Tuzla landen. Karen Thürnau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen