Jeder andere hätte keine Chance auf Weiterbeschäftigung

■ Mit den Stasi-Unterlagen, die vor einer Woche aufgetaucht sind, ist die Frage in den Mittelpunkt gerückt, ob Stolpe vor dem Untersuchungsausschuß gelogen hat

Manfred Stolpe würde heute sicher andere Worte wählen. „Stimmen Sie uns zu, daß Sie zurücktreten müßten, wenn Ihnen Stasi-Offiziere die Medaille in einer konspirativen Wohnung angeheftet hätten“, hatte eine Hamburger Illustrierte den Brandenburger Ministerpräsidenten im September 1992 gefragt. Dessen Antwort war: „Das wäre in der Tat eine denkwürdige Angelegenheit. Und daran würde ich mich wirklich erinnern.“ Denkwürdig bleibt die Angelegenheit allemal. Der Frontmann der Sozialdemokratie sieht sich inzwischen mit dem Verdacht konfrontiert, den Untersuchungsausschuß des Potsdamer Landtages im Zusammenhang mit der Verleihung der Verdienstmedaille der DDR bewußt belogen zu haben.

Vor anderthalb Jahren ging es vor dem Ausschuß in erster Linie darum, wann, wo und von wem Manfred Stolpe die staatliche Auszeichnung im Herbst 1978 erhalten hat. Die Ordensverleihung stand im Zentrum der Anschuldigungen, Stolpe habe in seiner Funktion als Kirchenpolitiker beinahe drei Jahrzehnte lang mit den Mitarbeitern der Staatssicherheit intensive Kontakte unterhalten. Er habe als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) mit dem Decknamen „Sekretär“ weit über seinen kirchlichen Auftrag hinaus mit Mielkes Mannen gemauschelt und gekungelt.

Zwei widersprüchliche Versionen standen und stehen seither im Raum. Nach der einen Darstellung, an der von Manfred Stolpe selber und dem ehemaligen Stasi- Offizier Joachim Wiegand festgehalten wird, hat der frühere Konsistorialpräsident den Orden aus den Händen der Politik, das heißt vom zwischenzeitlich verstorbenen Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, erhalten.

Die zweite, für Stolpe weitaus unbequemere, Version stützt sich dagegen auf die Stasi-Akten – und ebenfalls auf die Aussagen eines ehemaligen Stasi-Offiziers, Klaus Roßberg. Danach hat der Kirchenmann seinen Orden nicht vom Kirchenstaatssekretär, sondern auf direkten Befehl des Stasi-Ministers Erich Mielke erhalten.

Unbestritten ist, daß die Verdienstmedaille und die damit verbundene Urkunde für Stolpe von der Stasi beschafft wurde. Unstrittig ist auch, daß das Urkundenformular vom Führungsoffizier des IM „Sekretär“, Stasi-Major Klaus Roßberg, in Schönschrift mit der Tuschfeder ausgefüllt wurde. Doch dann gehen die Ausführungen diametral auseinander. Joachim Wiegand, seinerzeit Leiter der für die Kirche zuständigen MfS-Abteilung „XX/4“, sagte vor dem Potsdamer Ausschuß aus, seine Abteilung habe auf dem Wege der Amtshilfe dem Staatssekretariat für Kirchenfragen ausgeholfen.

Weil dort das Kontingent an Auszeichnungen erschöpft gewesen sei, habe die Stasi mit einer Verdienstmedaille aus ihrem Fundus ausgeholfen. Der formale Akt, die feierliche Übergabe, sei dann Sache des Kirchenstaatssekretärs gewesen. Für einigen Wirbel hatte seinerzeit die Aussage des Stellvertreters des verstorbenen Staatssekretärs Seigewasser, Hermann Kalb, gesorgt, er habe nur wenige Tage, nachdem die Auszeichnung Stolpes öffentlich wurde, Gespräche mit dem Ministerpräsidenten und seinen Mitarbeitern geführt. Stolpe habe die Gelegenheit genutzt, zu fragen, ob die Medaillenvergabe auf einen Vorschlag des Staatssekretariats zustande gekommen wäre. Fünf Tage später, räumte Kalb ein, habe er sich dann mit dem persönlichen Referenten Stolpes, Ringmann, und dessen Rechtsanwalt Schomburg getroffen. Auch Schomburg und Ringmann hätte interessiert, ob die Ehrung im Staatssekretariat ausgedacht wurde. Desweiteren wollten sie wissen, wer die Auszeichnung übergeben hat. Er habe, sagte Kalb, angegeben, daß er dies nicht wisse.

Der frühere Stasi-Major Klaus Roßberg schildert hingegen, er habe am 21.11. 1978 dem IM „Sekretär“ persönlich den Orden überreicht – in der konspirativen Stasi-Villa namens „Wendenschloß“ – in Anwesenheit seines Vorgesetzten Joachim Wiegand.

Vor rund einer Woche sind nun weitere Unterlagen aufgetaucht, die Roßbergs Version als die plausiblere erscheinen lassen. Eine Belegungsliste für das Stasi-Objekt „Wendenschloß“ vermerkt für den fraglichen 21.11. 1978 ein Treffen der Stasi-Mitarbeiter Wiegand und Roßberg mit IM „Sekretär“. Ein Treffen in der Stasi-Villa in Berlin- Köpenick hat Stolpe für diesen Zeitpunkt aber kategorisch ausgeschlossen. Sein Dienstplan für diesen Tag sei sehr dicht gewesen, wegen der großen Entfernungen sei ein Treffen im „Wendenschloß“ unmöglich gewesen.

Mit den neuen Unterlagen ist nun die Frage in den Mittelpunkt gerückt, ob der Ministerpräsident zu seiner eigenen Entlastung vor dem Ausschuß die Unwahrheit gesagt hat. Ausschußmitglied Günter Nooke (Bündnis) erklärte Mitte letzter Woche: „Wenn der Ministerpräsident den Ausschuß belogen hat, muß er Konsequenzen ziehen. Nach unserer Auffassung stützt die Aktenlage die Version des ehemaligen MfS-Offiziers Roßberg.“ Nicht akzeptieren will der Bürgerrechtler, „daß der Bote – in diesem Fall wir – für die Nachricht geprügelt werden soll“. Für ihn geht es darum, „daß die unterschiedlichsten Unterlagen einander bestätigen und ergänzen“. Seit dem Auftauchen der neuen Unterlagen hat sich für Nooke der Charakter der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Stasi-Kontakten Stolpes verschoben. Bisher sei es um die Aufklärung dieser Kontakte gegangen. „Neue Brisanz“ sei aufgekommen, weil nun geklärt werden muß, ob der Kirchenmann das parlamentarische Gremium belogen habe. „Die politische Kultur, der Stil und vor allem die Gleichbehandlung aller darf in diesem jungen Bundesland, auch für einen ausgesprochenen Sympathieträger, nicht zur Disposition gestellt werden. Der Preis ist einfach zu hoch.“

Eine Gleichbehandlung, wie sie Nooke einfordert, ist allerdings nicht in Sicht. Jeder andere als Manfred Stolpe hätte im öffentlichen Dienst des Landes Brandenburg keine Chance auf eine Weiterbeschäftigung. Konspirative Treffen mit Mitarbeitern der Stasi, die Entgegennahme von Präsenten und die Weitergabe von Informationen an den Staatssicherheitsdienst – das sind die Kriterien, die in Stolpes Bundesland eine Stasi-Belastung beschreiben. Der Ministerpräsident wird, so scheint es, nicht darüber stolpern, daß diese Kriterien nach der Beweisaufnahme des Ausschusses erfüllt sind. Wenn überhaupt, wird er nicht an Fehlern in der Vergangenheit, sondern an Fehlern im Umgang mit der Vergangenheit scheitern. Wolfgang Gast