Sanssouci
: Vorschlag

■ „Zarah“ ist kein Thema mehr – Tim Fischer mit neuem Programm in der Bar Jeder Vernunft

taz: Tim, seit der Premiere deines letzten Programms „Weil mir so ist“ ist nicht einmal ein halbes Jahr vergangen, jetzt stehst du mit „...und habt mich gern“ schon wieder auf der Bühne. Jagt ein Geniestreich den anderen, oder ist's nur der Überlebenszwang zur Produktivität?

Tim Fischer: Nein, ich habe einfach Spaß daran, neue Lieder zu machen. Immer dasselbe Programm, das halte ich nicht aus. Ich bin ständig auf der Suche nach schönen Chansons. Und wenn sich genügend ansammeln, dann gibt es in einem halben Jahr eben wieder eine Premiere.

Du bist von Hamburg nach Berlin gezogen. Sind hier die Konditionen für eine Kleinkunst-Karriere besser?

Aber ja. In Hamburg gibt es nur das „Schmidt“-Theater als größeres Kleinkunsthaus, in Berlin zähle ich zwei, drei solche Läden. Das ganze Leben hier ist attraktiver. In Berlin ist 'ne Menge Material für mich da.

In nur vier Jahren hast du eine steile Karriere hinter dir. Auf die schwulen Hinterhofbühnen, die dich bekanntgemacht haben, bist du nicht mehr angewiesen...

Das machen wir gelegentlich auch noch. Um die Weihnachtszeit haben wir zum Beispiel in die „Hudson“-Bar in Schöneberg ein Klavier reingerollt. Aber in einer Theateratmosphäre kann ich halt ganz andere Sachen ausprobieren. Da ist viel mehr Platz, da kann ich mich auf der Bühne bewegen, richtig rumpesen und tanzen.

Tanzt die „Rinnsteinprinzessin“ jetzt auf dem Trottoir der Etablierten?

Wenn du die Bar Jeder Vernunft etabliert findest, dann bin ich dort gelandet.

Und wo willst du hin?

Ganz einfach: Ich möchte in schönen Räumen singen. Es ist natürlich nicht einfach, etwas zu finden. Das Spiegelzelt ist leider ausgebucht bis j.w.d. Ach, am liebsten hätte ich ja gerne meinen eigenen Nachtklub in Berlin, wo ich auftreten kann, wann immer ich will. Mit einer großen Bühne!

Inwieweit verkörperst du noch die „Zarah ohne Kleid“, mit der du als 17jähriger die Herzen des Publikums erobert hast?

Überhaupt nicht. Ich bin leider immer in Ecken gedrängt worden, vor allem von den Schwulen. Erst war ich für sie Zarah Leander, dann war ich Ingrid Caven. Das hat mich immer traurig gestimmt, weil ich nie Frauen parodiert habe, sondern mit ihren Texten und der Musik versuche, meine eigenen Geschichten zu erzählen. „Zarah“ mache ich nicht einmal mehr als Zugabe, weil es mir auf den Geist geht. Außerdem denke ich, daß ich mich entwickelt habe. Ich habe andere Farben hinzugewonnen, mein Repertoire erweitert.

Aber bei den Chansons der zwanziger Jahren bist du geblieben. Was fasziniert dich an dieser Zeit, die du allenfalls aus Büchern kennen kannst?

Ich denke, daß ich die damalige Sucht nach Unterhaltung erfülle, abends auszugehen und einen draufzumachen. Das Publikum will – wie damals – wieder abschalten, es will den Alltag für zwei Stunden vergessen. Und ich habe Spaß daran, mit den Leuten einen solchen witzigen Abend zu verbringen.

Heißt das, daß in den letzten fünfzig Jahren keine guten Lieder mehr über Herz und Schmerz geschrieben beziehungsweise komponiert worden sind?

Doch bestimmt, vereinzelt, aber das ist auch eine Geschmacksfrage. Für mich sprühen die Texte aus den Zwanzigern vor Witz und Geist, in den siebziger Jahren war doch alles viel flacher. In den Zwanzigern waren auch mehr politische Akzente drin. Und ich will einfach, daß diese Lieder weiterleben, vor allem die nicht so bekannten. Ich habe Lieder von Friedrich Hollaender entdeckt, die es nicht auf Schallplatte oder CD gibt. Die dürfen doch nicht einfach den Bach runter gehen. Im neuen Programm erinnere ich auch an Blandine Ebinger, die große Diseuse, die Ende vergangenen Jahres gestorben ist. Sie war die letzte Augenzeugin dieser Zeit. Vier Lieder, die Hollaender für sie komponiert hat, werde ich singen.

Laut Pressemitteilung der Bar Jeder Vernunft erwartet uns ein „völlig neues“ Programm. Mehr als ein bloßer PR-Spruch?

Ja, es ist das erste Mal, daß vierzehn Lieder extra für mich geschrieben worden sind. Darunter sind auch vier Gedichte von Lioba Happel, die Franz Hummel vertont hat. Es waren fast alles Zufallsbegegnungen, die zu dieser Zusammenarbeit geführt haben. Auch Rainer Bielfeldt hat wieder für mich komponiert.

Warum heißt das neue Programm eigentlich „...und habt mich gern“? Es haben dich doch alle gern...

Man kann das zweideutig sehen. Zum einen natürlich bittend und flehend, zum anderen als provokative Zeile aus der „Rinnsteinprinzessin“.

Hast du eigentlich mal eine negative Kritik bekommen?

Ja doch, ich glaube in der Schweiz. Interview: Micha Schulze

Die Premiere von „...und habt mich gern“ ist heute, um 20.30 Uhr, nächste Vorstellungen bis 10.4. jeweils Mi.–So. 20.30 Uhr, in der Bar Jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf.