Keine Hilfe mehr für mißhandelte Kinder

■ Senatsverwaltung für Frauen streicht die psychologische Betreuung von Kindern in Zufluchtswohnungen für Frauen

83 Kinder in 25 Zufluchtswohnungen für Frauen werden künftig keine Ansprechpartnerinnen mehr haben, um Mißhandlungen und Gewalterfahrung aufzuarbeiten. Die Senatsverwaltung für Frauen hat die Projekte Frauenzimmer e.V. und ZUFFS-Frauenselbsthilfeverein Glogauer Straße aufgefordert, den erst vor einem Jahr aufgebauten Kinderbereich zu schließen. Die beiden Mitarbeiterinnen sollen zum 1. Mai gekündigt und die Mietverträge für die Räume aufgelöst werden. Zur Begründung heißt es, die Projekte hätten die Auflagen nicht eingehalten, die sie von Anfang an als unerfüllbar kritisiert haben.

Der Hauptausschuß hatte im Mai zwei von vier beantragten Stellen bewilligt, daran jedoch die Bedingung geknüpft, daß alle Zufluchtswohnungen abgedeckt werden. Die Mitarbeiterin von Frauenzimmer sollte damit nicht nur für die derzeit 21 Kinder in den fünf Zufluchtswohnungen des Vereins zuständig sein, sondern auch für weitere 15 Kinder in sechs Zufluchtswohnungen in Weißensee. Wie eine einzige Psychologin 36 Kinder in elf Wohnungen in Kreuzberg, Schöneberg, Tiergarten und Weißensee betreuen soll, bleibt das Geheimnis der Senatsverwaltung. „Die Kollegin säße die Hälfte der Zeit in der S-Bahn“, stellt Angelika May von Frauenzimmer fest.

Ähnlich überfordert wäre die Mitarbeiterin von ZUFFS. Sie sollte 47 Kinder in 14 Zufluchtswohnungen in Kreuzberg, Tempelhof, Steglitz, Prenzlauer Berg und Neukölln psychologisch betreuen. Wegen der Fluktuation in den Zufluchtswohnungen ist die Zahl der Kinder, die im Laufe eines Jahres dort leben, erheblich höher: 1992 durchliefen allein 202 Kinder die Zufluchtswohnungen der beiden Vereine.

Sie haben häufig genauso unter Prügel oder sexueller Gewalt zu leiden gehabt wie ihre Mütter. Auch sie sind in einer Krisensituation, die sich in Aggression, Eß- und Schlafstörungen, Einnässen oder Schulschwierigkeiten äußert. Ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern aufzubauen erfordert Zeit und Raum. „Einem Kind zu versprechen, für es dazusein, und dieses Versprechen dann nicht einhalten zu können, ist eine Fortsetzung seiner Mißhandlungserfahrung. Wieder einmal fühlt es sich zurückgewiesen“, sagt Angelika May von Frauenzimmer.

Vertreterinnen beider Vereine haben in mehreren Tätigkeitsberichten die Senatsverwaltung darauf hingewiesen, daß die Vorgaben beim besten Willen nicht zu erfüllen sind. Doch ohne Erfolg.

„Wir haben uns damals trotzdem auf die Bedingungen eingelassen, weil wir dem Elend der Kinder, das wir täglich erlebten, nicht länger tatenlos zusehen wollten“, sagt May. „In den Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Frauen ist uns immer wieder gesagt worden, entweder akzeptieren wir das Kooperationsmodell mit den anderen Trägern, oder es gibt keine Mittel.“

Dabei geht es um geringe Summen. Bislang sind 250.000 Mark in den Aufbau der Kinderbereiche geflossen. In diesem Jahr wären weitere 160.000 Mark angefallen. Vertreterinnen beider Projekte werfen der Senatsverwaltung einen „verantwortungslosen Umgang mit mißhandelten Kindern quasi zum Nulltarif“ vor. Der Senatsverwaltung gehe es offenbar um eine politische Erfolgsbilanz, beklagt Angelika May. Sie wolle vorweisen können, daß für alle Kinder in Zufluchtswohnungen Hilfsangebote bestehen, egal ob dies mit den bewilligten Mitteln pädagogisch zu leisten ist oder nicht.

Die Auflage, die der Hauptausschuß bei der Mittelvergabe gemacht habe, sei für die beiden Projekte „schwierig“ gewesen, räumte die Sprecherin der Senatsverwaltung für Frauen, Bettina Martin, gegenüber der taz ein. Sie müßten aber eingehalten werden. Da im Haushalt der Frauensenatorin „kein Spielraum“ sei, habe man sich entschlossen, dort zu kürzen, wo Projekte nicht so laufen, „wie wir uns das vorstellen“.

Wenn die Streichung nicht zurückgenommen wird, stehen die Kinder ab Mai alleine da, befürchtet May. Denn die verbleibenden Mitarbeiterinnen in den Frauenzufluchtswohnungen sind mit der Beratung der Frauen so ausgelastet, daß sie sich um die Kinder nicht kümmern können. Dorothee Winden