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Der versteckte Hunger von Tuzla

Trotz des Endes der bosnisch-kroatischen Kämpfe bleibt die Versorgung Zentralbosniens mangelhaft / Bisher konnte nicht einmal das UNHCR-Soll an Hilfsgütern erfüllt werden  ■ Aus Tuzla Erich Rathfelder

Amela und Nina sind Verkäuferinnen in einem Supermarkt, fröhliche junge Frauen, die den Fremden mit Witz und Ironie durch die leeren Regale führen. An manchen Stellen sind alte Prospekte für Backwaren ausgelegt. Nina weist auf die fünf Kochherde für 780 Mark, auf das Waschpulver für 25. „Mehr haben wir nicht anzubieten, außer dem Lackentferner dort drüben und den Römertopf, den niemand kaufen will, weil man ihn nicht mal essen kann.“

Das Lachen verschwindet aus ihren Zügen. Seit vier Tagen hätten sie und ihre Kolleginnen schon gehungert, erzählt Nina. „Wir in unserem Alter bekommen keinerlei internationale Hilfe, nur die Vertriebenen, die Rentner, die Kinder, die Waisen und die Kranken werden bedacht.“ Im Winter sei ihre Mutter ein paarmal auf das Land gegangen und hätte bei Bauern Kartoffeln organisiert. Einen Apfel hätte sie schon seit einem Jahr nicht mehr gegessen, Gemüse und Fleisch seien für sie Fremdworte geworden. „Wie sollen wir mit einem Gehalt von sech DM im Monat überleben, wenn ein Kilo Brot schon zehn Mark kostet?“

Längst sind die letzten Ersparnisse aufgebraucht. „Ein Verwandter hat vor acht Monaten über einen Journalisten ein paar Hundert DM geschickt, davon haben meine Eltern, meine zwei Schwestern und ich gelebt“, sagt Amela. „Vor unserem Wohnblock hat jede Familie ein Stück der ehemaligen Grünfläche erhalten.“ Dort hätten sie ein paar Kartoffeln und Zwiebeln angebaut. „Aber ein Teil wurde gestohlen, und für dieses Jahr haben wir weder Steckkartoffeln noch Samen.“ Überall in den Städten ging es den Leuten so, in Lukovac, in Graćanica oder auch in Zenica. Die Landbevölkerung lebe zwar etwas besser, „aber dafür sind die noch näher an der Front“.

Langsam steigt die Wut in beiden auf. „Sehen Sie sich mal unsere Regierung an, die Männer dort sind alle wohlgenährt.“ Auch ein Teil der Hilfsgüter verschwände in den Taschen der Privilegierten. „Es gibt Cafés, in denen Leute sitzen, die Kaffee für drei Mark trinken und Zigaretten rauchen. Sogar Bier wird hier hergestellt, nur können wir einfachen Leute es uns nicht leisten, acht DM dafür zu bezahlen.“ Immerhin, so wird von beiden schließlich eingeschränkt, sei mit Selim Beslagić ein Bürgermeister da, dem sie Korruption nicht zutrauen möchten. Und außerdem sei nach den Blockaden im Herbst und Winter nur ein kleiner Teil der Hilfsgüter durchgekommen.

Jetzt, nach dem Vertrag mit den Kroaten, müßten bald wieder Waren kommen. Doch noch ist es mit der kleinen Normalisierung nicht so weit, auch in diesem Monat wurde das vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) angestrebte minimale Soll an Hilfsgütern für die Versorgung der Region Tuzla nicht erfüllt. Immerhin hat der Bürgermeister angekündigt, daß Jugendliche bald in den Genuß von internationaler Hilfe kommen sollen. An einen normalen Handel aber ist noch nicht zu denken. Nach wie vor ist es Bosniern nicht gestattet, an die kroatische Küste zu reisen, und der Krieg mit den Serben tobt wie eh und je. Allabendlich erinnern Granaten die Bewohner Tuzlas an das andauernde Inferno. Blaß, dünn und ein bißchen langsam werden also auch Nina und Amela vorerst weiter warten und hungern müssen.

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