piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ „Vintage Velvet Visuals“ – Solo-Performance von Jon Flynn

Neben dem Telefon, das niemals klingelt, steht ein Aschenbecher voller Kippen, drumherum in wüster Wirrnis Umwelttüten, Vollwaschmittel und Rosen. Der Junggesellenhaushalt ist in Aufruhr, denn alle Haushaltsgeräte haben sich gegen ihren unseligen Besitzer verschworen, sogar der Toaster. „Life's such a torrid mess“, singt Jon Flynn und blickt wehleidig unter seinem gehäkelten, mit einer traurig herabhängenden Schleife verzierten Hut hervor. „The Torrid Toaster“ ist eins der komischsten Stück in Flynns neuer Solo-Performance „Vintage Velvet Visuals“ bei den Freunden der Italienischen Oper. Ein anderes Highlight ist seine Belmondo- Parodie, mit der der Schau-Foto: Veranstalter

spieler für seinen Sündenfall

in den Pfuhl billiger Polizeistreifen bestraft werden soll. Mit wiegendem Schritt und lauerndem Blick läuft Flynn im Kreis herum: „I'm tough, macho, very ugly...“. Zwischen den Stücken zieht der Künstler sich behende um, wobei er unter einer Unzahl von wollenen, seidenen und Spitzenhandschuhen zu wählen hat, die auf einem Tischchen am Bühnenrand aufgetürmt sind – von der überbordenden Fülle an Hüten, Jacketts, Pelzboas und prunkvollen Phantasiekostümen zu schweigen. Der Wechsel der Kostüme gehört ebenso zu den Stücken wie die Musik und Flynns eigentümlich artikulierende, rhythmische Sprechweise.

Der englische Performer, der seit fünf Jahren in Berlin lebt, hat hier bereits eine Reihe von One-Man-Shows aufgeführt. Vier Stücke von den zwölf „regulären“ Nummern und den drei Zugaben, die Flynn auch auf nur leises Verlangen des Publikums hin spielt, sind neu, die anderen waren bereits in den letzten beiden Soloprogrammen zu sehen. Düstere, manchmal allzu penetrant verrätselte Stücke überwiegen. In ihnen hüllt sich der Künstler in wallende Gewänder, schwingt ein Schwert oder setzt sich gar eine Pistole an den Kopf (unter der ein kleiner Stoffetzen mit der Aufschrift „Bang“ angebracht ist). Zwischendurch wird ein kurzer Film gezeigt, dann wieder liest Flynn eine seiner Erzählungen. Flynns Texte ähneln einander stark. Was sie dennoch interessant macht, ist der Kontrast zwischen expressionistischer Wortgewalt und schlagerartigen Liedzeilen: „I was wondering where you are, sweet girl from Madison Square...“ Miriam Hoffmeyer

Bis 10.4., Do.–So., 20 Uhr bei den Freunden der Italienischen Oper, Fidicinstraße 40, Kreuzberg. Jon Flynn tritt auch bei „Suck on this“ auf, einem Protest-Benefiz der englischsprachigen Künstler Berlins (u.a. auch Bridge Markland und Gayle Tufts) heute und morgen ab 20.30 im Schwuz (Hasenheide 54, Kreuzberg). Anlaß ist die fehlende finanzielle Senatsunterstützung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen