Im Gleichklang mit Volkes Stimme

Die Autobahnblockaden durch kurdische Demonstranten sind Wasser auf die Mühlen deutscher Law-and-order-Politiker. Sie erwägen bereits eine Gesetzesverschärfung, um Ausländer, die „Gastrecht mißbrauchen“, umgehend abschieben zu können.

„Kein Pardon für Gewalttäter“, der „Terror hat eine neue Dimension erreicht“, „wir werden das nicht hinnehmen“. Als Helmut Kohl gestern morgen über die kurdischen Protestaktionen sprach, hörte er sich an, als tobe auf deutschen Autobahnen der Bürgerkrieg. Mit den Drohungen an die Adresse hier lebender kurdischer Immigranten bestärkte der Kanzler den Tenor, den am Abend zuvor bereits sein Innenminister Kanther vorgegeben hatte. Im Gleichklang mit Volkes Stimme im Stau auf der Autobahn, forderte dieser die Ausweisung von „Straftätern“ – am besten alle bei den Autobahnblockaden Festgenommenen ins Flugzeug setzen und in die Türkei ausfliegen.

Falls das geltende Ausländerrecht dies nicht hergebe, so Kohl, müsse eine Gesetzesänderung in Erwägung gezogen werden. Selbst Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Schnoor, der sich mit dem Kurdenproblem intensiv beschäftigt hat und im Gegensatz zu Kohl und Kanther die Lage in Kurdistan kennt, will „Gewalttäter“ nach Verbüßung ihrer Strafe ausweisen; sie schadeten im übrigen der kurdischen Sache. Schnoor weiß zwar, „daß die Ursachen der kurdischen Gewalt in der Türkei liegen, aber das gibt den Kurden keine Rechtfertigung, selbst Gewalt anzuwenden, vor allen Dingen nicht hier bei uns“.

Gestern nachmittag trafen sich in Bonn auf Einladung Kanthers Staatssekretäre aus allen Länderinnenministerien, um über eine rechtliche Umsetzung der politischen Vorgaben nachzudenken. Jenseits populistischer Sprüche, die hier eine fatale Stimmung gegen die Kurden als Gruppe erzeugt, weiß Kanther natürlich, daß Abschiebungen in die Türkei nicht so einfach durchzusetzen sein werden. Die ganz überwiegende Anzahl der in der Bundesrepublik lebenden rund 500.000 Kurden sind Einwanderer, die bereits seit Jahren, manche sogar Jahrzehnten hier leben und längst einen festen Aufenthaltsstatus besitzen.

Nach geltendem Ausländerrecht sind Leute gegen Ausweisung um so besser geschützt, je länger sie hier leben – und entsprechend nicht lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung, sondern eine Aufenthaltsberechtigung haben. „In diesem Fall“, so der Sprecher der Berliner Bündnis-90/Grüne- Fraktion, Wolfgang Wieland, der als Anwalt auch Kurden vertritt, „reicht eine Teilnahme an einer verbotenen Demonstration, auch verbunden mit dem Vorwurf der Nötigung, für eine Ausweisung sicher nicht.“ Das gilt erst recht für anerkannte Asylbewerber, die nur in Fällen schwerster terroristischer Straftaten in ihr Verfolgerland ausgewiesen werden können. Gefährdeter sind dagegen Kurden, die illegal hier leben oder lediglich eine zeitlich befristete Duldung genießen. Ginge es um ein unproblematisches Herkunftsland, würde in solchen Fällen sicher abgeschoben. Bekanntlich ist die Türkei aber alles andere als unproblematisch.

Da Kanther sich am Dienstag abend nicht nur für Ausweisungen stark gemacht hat, sondern gleichzeitig noch erklärte, daß nach seinen Erkenntnissen die Demonstrationen zentral von der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) organisiert worden seien, muß jeder Kurde, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er hätte an einer solchen Demonstration teilgenommen, damit rechnen, bei seiner Ankunft in Istanbul sofort verhaftet zu werden. Amnesty international geht aufgrund langjähriger Erfahrungen mit dem Umgang der türkischen Polizei mit PKK-Sympathisanten davon aus, daß Personen, die nach ihrer Abschiebung inhaftiert werden, systematisch gefoltert, in etlichen Fällen verschleppt und sogar hingerichtet werden.

Diese Situation ist deutschen Verwaltungsgerichten bekannt. In Tausenden von Asylverfahren haben die Verwaltungsgerichte, auch wenn sie einen Asylantrag abgelehnt haben, den Ausländerbehörden empfohlen, kurdischen Flüchtlingen aufgrund der Genfer Konvention ein sogenanntes „kleines Asyl“ zu geben und die Betreffenden auch langfristig zu dulden. Die Genfer Konvention kann aber durch innerstaatliches Recht nicht einfach unterlaufen werden. Tatsächlich ist daher zu erwarten, daß auch die Länderinnenminister keine Massenabschiebungen vornehmen werden. Die Hysterie aber, mit der deutsche Politiker auf die kurdischen Demonstrationen reagiert haben, wird einen angemessenen Umgang mit verzweifelten Kurden nahezu unmöglich machen. Jürgen Gottschlich