Unter der Schaumgrenze

■ Franz Dobler liest heute in der Volxküche aus seinem neuen Erzählband „Bierherz“

Bayern und die USA haben viel gemeinsam: vom nationalen Stolz über die institutionalisierte Prüderie bis zu einer in Nischen reglementierten Anarchie sind die Parallelen so zahlreich, das sie hier nur kurz angedacht werden können, um sich dann einem speziellen Bereich zuzuwenden: den Literaten. Hier wie dort zeichnen sich nämlich die besten ihrer Zunft durch den scheinbaren Widerspruch von sehnsüchtiger Individual-Anarchie und geradezu mythologischer Heimatliebe aus. In dieser Methode sind sich Bayerns größter - Herbert Achternbusch -, aber auch Autoren wie Kroetz und Goetz und amerikanische Pendants wie Bukowski, Burroughs, Kerouac oder Pynchon keineswegs unähnlich. Aber auch die jüngere Generation, zu der sich Franz Dobler zählt, hält diese in Bayern von Karl Valentin erstmalig auf die Spitze getriebene Lebensart aus Nostalgie und Verzweiflung mit grotesker Sturheit durch.

Dobler, der mit Tollwut 1991 einen großartigen und allgemein vielbeachteten Roman veröffentlichte, verrückt mit seinem neuen Erzählband Bierherz den Grenzstein seines Stils ein weites Stück hinein in das Land (und zurück in die Zeit) der Beatniks und der späteren amerikanischen „Underground“-Literatur. Sprachlich wie thematisch führt die Anlehnung bei einzelnen Geschichten bis ins Epigonenhafte. Das reicht vom Drogenfetisch (dort Mariuhana, LSD und Peyote, hier Bier, Bier, Bier) über den Road-Story-Mythos bis zur genüsslichen Ausbreitung von Spezialisten-Wissen. Was hier über lange Strecken zelebriert wird, ist die locker geraunzte Nostalgie nach einem Wilden Westen für die Überlebenden des bayrischen Kleinbürgertums.

Dort ist es sehr kurzweilig und oft komisch, denn Sprachwitz und erzählerische Geschliffenheit besitzt Dobler in reichen Scheffeln. Allerlei Anekdoten um das „bayrische Volksgetränk“ werden in Bierherz zum literarischen Kranz geflochten. Mal pseudo-wissenschaftlich, mal als Rede über ein eigenes Theaterstück oder als Kneipengeschichte über die unglückliche Frau, die sich die Brüste verkleinert hat, der Dunstkreis des Alkoholismus erfährt stets seine Umdeutung in den Weihrauch der Inspiration. Die Sehnsucht nach der Wiederaufnahme in den bayrischen Volkskörper kulminiert in Sätzen wie „Bier ist gerechtester Kommunismus“, die die romantische Sehnsucht des Autors nach den frühen Achtzigern, als sich Pop-Geist und Intelligenz kurz verbändelten, belegt. Die Umbewertung linker Tabubegriffe, mit der man sich damals aus den moralischen Fesseln eines verknöcherten politischen Selbstbewußtseins zu befreien gedachte, wirkt heute allerdings nur noch wie Pose. Bei der Erzählung über die „Schriftsteller Armee Fraktion“ verendet der Theken-Extremismus endgültig in selbstgefälliger Ironie-Verfettung.

Am spannendsten wird Bierherz absurderweise dort, wo Dobler sich endgültig am amerikanischen Beatnik mißt und sein Stammland verläßt. In dem Herzstück des Bandes, bei dem es nur am Rande ums Bier geht, öffnet er uns sein USA-Reisetagebuch. Die Suche nach musikalischen Orginalen in den südlichen Sumpfgebieten verdaut endlich abseitige Beobachtungen, atmosphärische Dichte und Informationen über einen der schillernsten Bereiche der Weltmusik zu einem literarischen Beitrag von anerkennungswürdiger Größe.

Doch im Ganzen besitzt diese „Flüssige Prosa“ (Untertitel) zu viele abgestandene Mythologeme und ein unangenehmes Maß an Selbstinszenierung, um die Schaumgrenze zu übersteigen. Herr Dobler sollte wieder einen Roman schreiben, der ihn zur literarischen Disziplin nötigt. Darauf mag man mit Spannung warten.

Till Briegleb

Bierherz - Flüssige Prosa, Edition Nautilus, 128 S., 19.80 Mark Lesung heute abend in der Volxküche, Hafenstraße, 21 Uhr