: Das wohltemperierte Knarzometer
■ Erwin Stache & seine Musikautomatenbande leibhaftig im Künstlerhaus am Deich: Zum Beispiel mit „Musik im gebogenen Raum“ für Piano und diverse Rappelkisten
Da staunt der Hexenmeister selbst: Wie die Zauberbesen und -wesen, gerade erst erschaffen, ihr Eigenleben leben; wie sie rappeln und klappern und schon anfangen wollen zu sprechen. So schweigt Meister Stache und genießt: Beim Finale seiner „Musik im gebogenen Raum“ setzt er sich stets selbst ins Publikum und betrachtet, was er an seltsamen Klangmaschinchen da wieder angestellt hat. Denn Stache ist Komponist, Pianist und Erfinder zugleich; und alle drei Leidenschaften lebt er bei seinen Auftritten – wie jetzt im Künstlerhaus am Deich – vollständig aus. Denn so ist das Wesen von Staches Welt: Im gebogenen Raum passiert alles ständig parallel und gleichzeitig ungeichzeitig.
Das multifunktionale Konzert des Leipzigers Erwin Stache paßt dem Künstlerhaus da ganz gut ins neue Konzept. In der Galerie des Hauses soll nicht allein die bildende Kunst ihren Platz haben; vielmehr ist das Organisationsteam Gisiger/Griese bemüht, die Künste in all ihren Spielarten aneinandergeraten zu lassen. In der aktuellen Reihe „passiert“ wird darum der „Performance“ bevorzugter Platz eingeräumt; sie bietet für solche Zwecke ein geräumiges Gefäß, in dem sich allerlei Künstlerisches anrühren und vermengen läßt. Darin findet sich irgendwo auch Staches „optische Musik“ wieder. Doch ist hier nichts nur um des Spektakels Willen zusammengemixt: Stache übertritt die Grenzen zwischen den Genres, Medien und Stilen allein deshalb, weil er diese gar nicht wahrnimmt. Und so erfindet er nicht bloß widerborstige Musikapparate, sondern eigentlich die ganze Musik neu.
Zwischen Wohlklang und Nervgeräusch ist es da nur ein gradueller Unterschied. Aus dem Dialog zwischen dem ziemlich frei improvisierenden Pianisten und seinen umherstreunenden Klangrobotern gewann der erste Konzertabend Staches seine Grundspannung. In den einzelnen Abschnitten nimmt dieser Dialog mal friedliche, mal kämpferische Züge an: Kaum bemüht sich der Pianist, aufmerksam dem Zufallstakt eines Knarzometers zu folgen und antworten, da fällt ihm scheppernd ein dritter „Kollege“ (wie Stache sagt) ins Wort. Freejazz-Passagen müssen sich so mit mechanischem Geheule und Gebrumme arrangieren; hübsch verspielte Klaviermelodien gehen mit dem ätherischen Singsang einer selbsttätigen Zither eine kurze Liaison ein.
So entfaltet der „gebogene“ Raum allmählich seine eigene, wundersame Geometrie, jenseits aller Natur- und Kunstgesetze. Hier biegen und blähen sich die Töne, bis sie zu Geräuschen werden, und umgekehrt; hier zieht sich die Zeit, bis sie stillesteht; hier dehnt sich die Musik, bis sie ins Unermeßliche ausufert. Bevor's aber allzu großartig wird, kommen immer wieder ein paar gezielte Takte hintergründigen Humors ins Spiel. Dann schaut der Meister verdutzt zwischen seinen Apparaten hervor, würgt sie ein wenig, tätschelt sie, und stellt sie einfach ab – um gleich die nächsten lärmend in Gang zu setzen.
Denn so schnell wird der Hexenmeister seine Geister dann doch nicht los. Das ist die Geschichte, die Staches Musik immer wieder erzählt: Wie sich die Dinge, so sehr die Herrscher sich mühen, doch niemals restlos beherrschen lassen. Thomas Wolff
„Musik im gebogenen Raum“, plus Videovorführung „Ein Sonntag in Plagwitz“, Fr./Sa., jeweils 20.30 Uhr, Am Deich 68/69
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