Die Illusion von der stabilen Republik

■ Kaum war per Referendum eine Wahlrechtsänderung durchgesetzt, verwässerten die Parteien den Wählerwillen

Die Illusion hatte einen Namen: Referendum. In Italien dürfen die Bürger mit Hilfe des „abrogativen Volksentscheids“ über die Abschaffung geltender Gesetze (Ausnahme: Haushalt, Verteidigung und internationale Verträge) befinden. Schon im Sommer 1991 hatte eine riesige Mehrheit den Wahlmodus zum Abgeordnetenhaus geändert; seither darf der Bürger nicht mehr wie bis dato vier, sondern nur noch einen Kandidaten ankreuzen – was die Bildung von „Seilschaften“ (eine Vierergruppe unter Führung eines landesweit angesehenen Politikers mit drei treuen Gefolgsleuten) und damit das alte Klientelsystem der Parteifürsten aushebelte.

Gut ein Jahr später wurde das bis dahin überwiegend geltende Verhältniswahlrecht abgeschafft, bei dem die Zahl der Abgeordneten jeder Partei nach der im ganzen Land für sie abgegebenen Stimmen berechnet wird. Die Promotoren des Referendums versprachen ein System nach angelsächsischem Muster, wo sich zwei große Gruppierungen als Regierung und Opposition gegenüberstehen und einander, je nach Wählermehrheit, abwechseln. Da in jedem Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen durchkommt, werden sich, so die Rechnung, die Parteien bereits vor den Wahlen zu Allianzen zusammentun – der Wähler weiß endlich einmal vorher, welche Regierung er wählt, die nachträgliche Bildung unvorhersehbarer Koalitionen entfällt. Gleichzeitig sollte mit der Direktwahl der Abgeordneten und Senatoren verhindert werden, daß unbekannte Dunkelmänner über die Listen ins Parlament gehievt werden. So würde die alte korrupte Republik zu einer effizienten, stabilen Demokratie, so die Referendumsfreunde, und sie gewannen die Abstimmung mit 90 Prozent.

Doch nun ist alles Pustekuchen. Die Parteien, mit Ausnahme der Radikalen und der „Ligen“, verwässerten den Wählerwillen, indem auch weiterhin ein Viertel der Volksvertreter – ca. 150 Abgeordnete und 80 Senatoren – über das Verhältniswahlrecht gewählt werden. Und dann bildeten die Parteien statt der erhofften zwei Kontrastgruppierungen derer drei: die „Fortschrittlichen“ (Linksdemokraten, Kommunistische Neugründung, Demokratische Allianz, Grüne, Linkssozialisten, Teile der Sozialdemokraten sowie die Antimafiabewegung „la Rete“), den „Pool für die Freiheit“ (Forza Italia, Nationale Allianz, Christlich- demokratisches Zentrum sowie in Oberitalien die „Ligen“) und die „moderate Mitte“ (Italienische Volkspartei, Pakt für das Referendum, Republikanische Partei, Teile der Radikalen sowie der Liberalen). Da keines der drei Bündnisse die absolute Mehrheit der Sitze in beiden Kammern erreichen dürfte, ist die Konsequenz erneut die Bildung einer Koalition.

Nun kann aber keiner der drei Blöcke insgesamt mit einem der anderen; die „Moderaten“ könnten zum Beispiel mit den Linksdemokraten, aber nur, wenn diese sich von der „Rifondazione comunista“ und von „la Rete“ trennen. Mithin müssen sich die Wahlbündnisse erst einmal auflösen, wonach die einzelnen Komponenten dann wieder frei mit den anderen Kräften kungeln können. Von der linken Seite gibt es dann acht, von rechts vier, von der Mitte mindestens sechs Parteien – 18 Fraktionen. Genau acht mehr als nach dem bisherigen, wegen seiner Instabilität abgelösten, System.