Sozis, Sieger, Verlierer und Kandidaten

■ Geppert, Kuhbier, Mantell: Hamburgs SPD hat die Vorstands-Wahl. Oder nicht? Ein Abend in der Kantine des Versorgungsamtes Von Uli Exner

Kann es einen geeigneteren Ort für eine sozialdemokratische Parteiveranstaltung geben? „Kantine des Versorgungsamtes, Paul Nevermann Platz 5, 15. Stock,“ direkt an der Max-Brauer-Straße. Fischsuppe drei Mark, Schnitzel vier Mark, Rasterdecken, Neonlicht, Tische und Stühle, so rechteckig und brav angeordnet, daß sie jedem Ausschank der DDR-Handelsorganisation zur Ehre gereicht hätten. Und nach den an der Eingangstür schriftlich geforderten „Berechtigungsausweisen“, die „dem Personal unaufgefordert vorzulegen sind“, fragt auch keiner.

Oh, seliger Sozi, das ist ein Platz, an dem Hamburger SPD-Geschichte geschrieben werden kann. Kandidatenbefragung für die erste basisdemokratische Wahl eines Landesvorsitzenden. Angetreten zur zweiten von dreizehn Vorstellungsrunden sind drei Kandidaten, eine Handvoll Altonaer Funktionäre und 100 Sieger, wie das SPD-Blättchen Hamburger Kurs die einfachen Mitglieder in seiner neuesten Ausgabe feiert: „Wir alle haben schon einen nicht zu unterschätzenden Sieg errungen. Diesmal wurde die Kür die Sache aller, wurde nicht in Zirkeln und in der Presse vorentschieden.“

Die so gefeierten, an den Kantinentischen sortiert nach älteren (vorn), gestandenen (mitte) und jüngeren (hinten) Siegern, halten sich an diesem Abend zunächst einmal zurück. Die ersten Fragen stellen die Verlierer, die, die jetzt nicht mehr im Hinterzimmer vorentscheiden dürfen. Ein Distriktsvorsitzender, ein Landesvorstandsmitglied. Genauer gesagt: Die beiden fragen nicht, sie halten unaufgefordert kleine Kurzreferate über den Zustand der Partei, bei denen die meisten Sieger den Eindruck erwecken, daß sie auf diese Art der Ehrung durchaus verzichten könnten. Aber vielleicht haben ja die Kandidaten alles verstanden.

„Du hast deine Fragen mit der Parteireform begonnen,“ faßt Kandidat Jörg Kuhbier den Beitrag des Distriktvorsitzenden zusammen, um dann zu berichten, „daß Hamburg seine Hafengrundstücke zu günstig abgibt“.

„Du willst ja wissen, wie wir uns vom Senat unterscheiden,“ beginnt Konkurrent Jürgen Mantell seinen Antwortversuch und hüpft dann von der Hafenstraße zu den Petersberger Beschlüssen.

„Die Verwaltungsreform.“ Alexander Geppert gibt zu Protokoll, daß „eigene Positionen künftig in den Bezirksversammlungen“ zu entwickeln seien.

Geppert, 45 Jahre alt, Frauenarzt, erst seit 1992 in der Partei, gilt unter den drei Bewerbern um den SPD-Vorsitz als der Außenseiter. Eine recht freundliche Umschreibung für einen, der absolut keine Chance hat. Unbedarft, in frisch gebügelten Hochwasserhosen, erweckt Geppert eher den Eindruck, er bewerbe sich um einen Beiratsposten in einem Wohlfahrtsverband und nicht um den Vorsitz einer Regierungspartei. „Glauben wir“, so hat Geppert in seinem Bewerbungsschreiben schwülstig formuliert, „dann beginnt alles um uns herum zu leuchten ... Mut zur Veränderung, Mut zur Verantwortung ... Wir brauchen einen Gesinnungswandel ... innere Einkehr“.

Für einen Moment herrscht Stille im 15. Stock. Im Raum steht jene Frage an Alexander Geppert, die wohl vielen auf der Zunge liegt, die sich aber nur einer zu stellen traut, und auch der hat „lange überlegt, ob ich das tun soll“: „Würdest du deine Kandidatur zurückziehen?“

Spannung. Tut er's? Schließlich haben auch die Eppendorfer Sozialdemokraten dem Seiteneinsteiger schon am Tag zuvor vorgeworfen, daß er nur hohle Phrasen dresche. Will er sich das wirklich noch elfmal antun?

Die Bügelfalte strafft sich, der Kandidat öffnet seine Arme, als sollten sie die gesamte SPD in sich aufnehmen, der Mund entspannt sich zu einem gütigen Lächeln. Dann: „Natürlich würde ich zurückziehen. Wenn meine Partei sagt, daß meine Kandidatur schädlich ist!?“

Der Kantinen-Geräuschpegel schwillt wieder an. Schädlich? Einer, der „nicht links, nicht rechts, sondern einfach menschlich“ sein will? Wer wollte das schon behaupten. Kuhbier schüttelt den Kopf. Mantell schüttelt den Kopf. Was soviel bedeuten mag wie: Laßt ihn doch mitspielen. Ist doch harmlos. Und: Gewählt wird er ja doch nicht.

Wenn man den SPD-Auguren Glauben schenkt, dann steht – Urwahl hin, Basisentscheidung her – der Name des künftigen Parteichefs schon fest. Jörg Kuhbier, 54jähriger Ex-Umweltsenator mit klassischer Parteilaufbahn: „1965 mit einer Wählerinitiative für Willy Brandt Beginn der politischen Aktivitäten. Kreisdelegierter, viele Jahre Hauskassierer, Distriktsvorstand, Bezirksabgeordneter.“

Ochsentour plus Prominenz. Das, so glauben nicht nur Kuhbiers Fans, dürfte auch in Zeiten, in denen allzu lange Polit-Karrieren verdächtig machen, locker für eine Mehrheit reichen. Außerdem: Hat er nicht durch seinen freiwilligen Rückzug aus dem Senat bewiesen, daß er nicht zu jener Sorte Funktionäre gehört, die an ihren Posten kleben? Einer, der auch eigene Wege gehen kann? Die richtige Mischung aus Erfahrung und Erneuerung?

Der Favorit tendiert zum Rappeln. Die Worte überholen sich fast gegenseitig, wenn Kuhbier mit gepreßter Stimme zum Vortrag ansetzt: „Management ... Erfahrung ... Führungsfunktion ... Kontur der Partei...“. Fast fürchtet man, ihm könnte die Luft ausgehen. „... Unabhängigkeit ... Reform ... Wahlen ... Hamburgs Verwerfungen“. Kuhbier beherrscht das Repertoire perfekt, bleibt auch keine Antwort schuldig, als die Sieger sich in der Versorgungsamt-Kantine ihr Recht nehmen und die Kurzreferate der Funktionäre durch Fragen ersetzen.

Deine Lieblingskoalition, Genosse Kuhbier? Rotgrün, aber wenn einem jemand so weit entgegenkommt, wie die Statt Partei .... Ein klares Wort zur Hafenstraße? Ich habe mich damals im Senat für den Erhalt eingesetzt, aber Voscheraus Vorgehen jetzt – sehr beachtlich. Die vielen Bauwagen in Altona? Nicht das geeignete Wohnen, aber ....? Der Transrapid? Man muß sich zusammensetzen. Ein Hintertürchen bleibt stets geöffnet.

Profi Kuhbier stößt niemanden vor den Kopf, selbst Antworten auf die absurdesten Fragen beendet er mit „... und insofern hat der Genosse recht“. Verständnis für die Basis, Integrationskraft. Kommt man an diesem Kandidaten vorbei?

Jürgen Mantell drängelt jedenfalls kräftig. „Ich halte mich für sehr geeignet,“ verkündet der 50jährige Jurist am Vormittag über vorgehaltene Radiomikrophone und läßt auch am Abend deutlich spüren, daß es ihm an Selbstbewußtsein nicht gerade mangelt.

Die Hände betont lässig in den Hosentaschen versenkt, im Tonfall – leichter Ruhrpottakzent – zur Schnoddrigkeit tendierend, lugt Mantell zumeist schmunzelnd aus einem korrekt gebundenen Krawattenknoten hervor und beweist, daß man nicht unbedingt Senator gewesen sein muß, um die hohe Kunst der Polit-Rhetorik zu beherrschen. Senatsdirektor in der Stadtentwicklungsbehörde reicht auch:

„Ich habe ja eine gewisse Affinität zu den Grünen.“ Nein, „im Sinne einer behutsamen Stadtentwicklung“ will er Räumung der Hafenstraße natürlich auch nicht, „aber dazu wird noch viel Diplomatie nötig sein.“ Ja, für die Bauwagenplätze „brauchen wir kommunale Entscheidungen vor Ort“ und für die Magnetbahn „ein vernünftiges Management, da unterstütze ich das, was der Jörg sagt.“ Ein Halbsatz, der häufiger notiert werden kann.

Nein. Mantell und Kuhbier machen sich keine Konkurrenz. Beide wissen, woher der Partei-Zeitgeist weht, beide präsentieren sich als Erneuerer, ohne der alten Funktionärsgarde allzu kräftig auf die Füße zu treten. Beide kassieren verhaltenen Beifall an diesem Abend.

Zurück an historischer Stätte bleibt ein exakt gefaltetes Exemplar des Hamburger Kurses. „Drei Kandidaten, drei Entwürfe für eine moderne Stadtpartei, drei Angebote“, heißt es darin. Naja.