Schwarz-Weiß-Fahrerinnen

■ Die Wirklichkeit zum Film oder: Kein Oscar für eine schwarze U-Bahn-fahrende Berlinerin

Manchmal spielt das Leben wie im (Kurz-)Film. Einen Tag nach der Oscar-Verleihung für Pepe Danquarts „Schwarzfahrer“ die Realsatire zum Drehbuch. Schauplatz: Die U-Bahn-Linie 7 zwischen Möckernbrücke und Hermannplatz. Eine schwarze Frau unterhält sich angeregt mit ihrer älteren weißen Nachbarin.

Sie erkundigt sich nach den Kindern, klönt über den letzten Klatsch aus der Kirchengemeinde, schwatzt – bis das winzige alte Muttchen mit dem festgezurrten Kopftuch und dem abgetragenen Mantel einen Platz auf der Zweierbank gegenüber erklimmt. Ihre kleinen Füße reichen kaum auf den Boden, aber unermüdlich schurrt sie hin und her. Erst nach einer Station wird offenkundig, wem ihre Unruhe gilt. Mit unwirschen Bewegungen schubst sie die Füße der schwarzen Frau weg. Die glaubt zuerst an ein Mißverständnis, zieht die Beine ein wenig zur Seite. Doch das Geschurre am Boden hört nicht auf, die kleine Alte setzt all ihre Energie in den Kampf um maximale Bewegungsfreiheit für ihre weißen Füße.

Sie brabbelt vor sich hin. Etwas verwirrt sicherlich, aber man versteht sehr wohl, was sie meint. „Die soll ihre Füße da wegnehmen. Man hat ja gar keinen Platz mehr. Ständig wird man weggeschubst. Nicht einmal mehr auf die Straße gehen kann man. Alles viel zu gefährlich geworden. Früher war das anders. Da waren die ja noch nicht da.“ Einige Fahrgäste starren peinlich berührt weg, andere lächeln der schwarzen Nachbarin unsicher zu, die dritten werfen einen entschuldigenden Blick: die Alte ist halt ein bißchen verrückt.

Nur ist sie das unermüdlich. Keine Sekunde stehen die kleinen Füße still, mit scheinbar zufälligen Kickbewegungen zielen sie gegen das schwarze Bein. Das Abteil lauert auf eine empörte Reaktion, und tatsächlich, plötzlich bricht es aus der Angegriffenen heraus: „Sagen Sie mal, wie viele Füße haben Sie eigentlich?“ fragt die schwarze Frau. Und lacht dem Muttchen schallend ins Gesicht. Einige Fahrgäste grinsen vor sich hin, die vielfüßige Alte ist beleidigt. „Die darf nicht über mich lachen. Ich lass' mich nicht auslachen. Sie dürften ja über mich lachen“, stößt sie kumpelhaft ihre weiße Banknachbarin an, „aber die da nicht.“

„Und warum darf ich lachen und die Frau nicht?“ Die Komplizensuche ist gescheitert, irritiert tritt die störrische Alte den Rückzug an: „Weil Sie ja auch nicht so schräg mit den Beinen sitzen wie die und meinen Füßen den Platz wegnehmen.“ Noch als sie am Hermannplatz aussteigt, lacht die schwarze Frau kopfschüttelnd vor sich hin.

Und keiner gibt ihr dafür einen Oscar. Vera Gaserow