Gottfried Schmitt mußte sich wundern

■ Ein Kessel Buntes: „Suck on this“ – Protest-Benefizveranstaltung der in diesem Jahr nicht geförderten englischsprachigen Theaterkünstler im SchwuZ

„What the fuck are they doing?“ wunderte sich Simon Koschnick von der Theatergruppe „Out to Lunch“, als er die Liste der Projekte durchging, denen die Senatsverwaltung für Kultur in diesem Jahr Zuschüsse bewilligt hatte. Keine einzige Produktion in englischer Sprache war dabei. Kurzentschlossen trommelte Koschnick etwa zwanzig Künstler zu einer Protest- und Benefizveranstaltung zusammen, um dem Senat ein kräftiges „Suck on this!“ ins Gesicht zu schleudern.

In dem Kessel Buntes, der gestern und vorgestern im SchwuZ in der Hasenheide ausgegossen wurde, schwamm vielerlei: ein atonal und doch kitschig vertontes Heine-Lied, die erste Szene von „Warten auf Godot“ und nicht zuletzt die mit großer Feierlichkeit ausgeführte Exekution eines taz- Verrisses von letzter Woche. Fräulein Debbie, der/die charmant durch das Programm führte, fand den Geiz des Senats „wirklich nicht schön“. Priscilla Be plauderte in ihrem gewohnt atemberaubenden Tempo über Thunfisch, Sex und Selbstmord, viel Lausitzer Mineralwasser wurde verschüttet, und Rik Maverik von den „Berlin Play Actors“ – die in diesem Jahr im Gegensatz zu 1993 leer ausgehen – nervte durch hysterisches Krakeelen und durch Monologe über sein Schamhaar. „Bis jetzt habe ich die zwingende Notwendigkeit noch nicht ganz mitbekommen, gegen diese Senatsentscheidung zu sein“, bemerkte der Zuschauer Gottfried Schmitt in der Pause.

Im Protestbrief der beteiligten Künstler, die hinter dem Ausbleiben von Fördergeldern eine fiese Verschwörung gegen undeutsche Kunst wittern, heißt es dagegen zuversichtlich: „An der Qualität kann es nicht liegen.“ Wohl doch auch. Allerdings wechselten sich in der kuriosen Mischung der Benefizveranstaltung Darbietungen, die auf den ersten Blick durchaus nicht förderungswürdig anmuten, mit wirklich originellen Stücken ab. So gab es zum Beispiel die selten gehörte Ballade „Odins Meeresritt“ von Carl Loewe, dem „King of Kitsch“, zu hören. Es heulet der Wind am Meeresstrand ...

Faszinierend heulte und röhrte auch ein von Termiten ausgefressener Ast, ein Instrument australischer Ureinwohner, als Begleitung zu einem kleinen „manstrip“ mit Tanz.

Mit einem ihrer besten Stücke aus der Solo-Performance „Bridgeland“ führte Bridge Markland die Wonnen einer Frau vor, die sich mit einem Nadelstreifenanzug verkleidet. Stolz reckte die kahle Künstlerin dem Publikum den Gummipenis in ihrer Brusttasche entgegen: „Nothing can get me down. I'm a man in a suit.“ Und Jon Flynn, der sofort nach Schluß seines Programms „Vintage Velvet Visuals“ zum SchwuZ geeilt war, beklagte herzzerreißend die Tücken seines Toasters und der wilden See. Hier erreichte die „audience participation“ in dem düsteren Refrain „Ho, ho, hey, hey“ ihren Höhepunkt.

Sowohl Bridge Markland als auch Jon Flynns Anträge auf Projektförderung sind in diesem Jahr abgelehnt worden. „Für Solo-Programme ist die ,Förderung freier Gruppen im Bereich darstellendes Spiel‘ eigentlich nicht gedacht“, erklärte die zuständige Referentin in der Kulturverwaltung, Barbara Esser. „Die Künstler hätten sich in einem anderen Bereich bewerben müssen.“ – „Was mich ärgert, ist, daß denen das keiner gesagt hat“, meint Simon Koschnick dazu. Und außerdem habe die Solo-Performerin Lindy Annis 1993 auch aus diesem Fördertopf Geld bekommen. „Es ist unmöglich, daß eine Stadt, die Hauptstadt sein will, überhaupt kein Interesse an englischsprachigem Theater zeigt“, schimpft Koschnick.

Seine Gruppe „Out to Lunch“ macht trotzdem weiter. Der Erlös aus der eher mäßig gut besuchten Benefizveranstaltung soll in die Produktion des Stückes „Insignificance“ von Terry Johnson fließen. Miriam Hoffmeyer