Europa schottet sich ab

■ Internationales Tribunal klagt Europa der Verletzung des Völkerrechts an

Die „Wohlstandsoase“ Europa hat die Luken dicht gemacht. Die Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings ist in einem europäischen Asylverfahren längst nicht mehr ausschlaggebend, urteilte das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen in einer im März 1993 veröffentlichten Erklärung zur Grundgesetzänderung. Der Paragraph 16 des Grundgesetzes als Schutzgarantie für alle politisch Verfolgten sei in seiner Existenz bedroht.

In einem Tribunal sollen deshalb Italien, Spanien, Deutschland und die Schweiz der Menschenrechtsverletzung angeklagt werden. Personen des öffentlichen Lebens wie Schriftsteller und Juristen, darunter Nobelpreisträger, gehören unter anderen dem ständigen Tribunal der Völker der italienischen „Basso-Stiftung“ an. Die im Dezember in Berlin zusammentretende Versammlung wird versuchen, die europäische Asylpolitik als „Einreiseverhinderungspolitik“ zu entlarven. Auf deutschen Flughäfen werden Schutzsuchende vielfach ohne Anhörung in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Durch die Errichtung „exterritorialer Räume“ auf europäischen Flughäfen haben Flüchtlinge keinen Rechtsanspruch auf eine Anhörung. Wer versucht, auf dem Landweg nach Deutschland einzureisen, wird über die „Drittstaatenregelung“ an der Grenze abgefangen. Die Bundesrepublik umgibt sich mit einem „Schutzwall gen Osten“, so FU-Professor Elmar Altvater, wodurch das Flüchtlingsproblem nur abgedrängt, aber nicht gelöst werde. Nach den Befürchtungen der UNO drohe somit ein „Dominoeffekt“, der eine internationale Achtung des Völkerrechts ernsthaft in Frage stelle. Asylsuchende werden in Europa zunehmend als gesichtslose Masse betrachtet. Die europäischen Staaten sind zwar durch ihre Wirtschaftspolitik vielfach mitverantwortlich für das Schicksal der weltweit mindestens 15 Millionen Flüchtlinge. Den Ursachen derartiger Migrationsbewegungen wirken sie jedoch nur sehr unzureichend entgegen. Christine Schiffner