■ Tour d'Europe
: Zielscheibe Jude

Antisemitismus ist zwar keine ausschließliche Domäne rechtsextremer Parteien, doch er ist zumeist ihr gemeinsamer Nenner. So kommt es, daß sich deutsche und polnische Nationalisten, die inzwischen einige zögerliche und lose Kontakte geknüpft haben, meist über fast gar nichts einig werden können – mit einer Ausnahme, daß nämlich an allem die Juden, genauer: eine jüdische Weltverschwörung, jüdische Bankiers und vielleicht noch der Mossad Schuld haben. Neben dem Haß auf die Demokratie und die Demokraten eint die Internationale der Nationalisten nur noch der Antisemitismus. Antisemitisches Gedankengut läßt sich bei Frankreichs Front National, bei der deutschen NPD, bei baltischen Rechtsradikalen, in Österreich, Ungarn, Polen und natürlich in Rußland nachweisen.

Passiv antisemitisch sind einige der polnischen Parteien der äußersten Rechten. Bei ihnen tritt eine Abwehrhaltung gegen Schuldvorwürfe zutage, die Polen, und dabei besonders Polens Vorkriegsrechte, antisemitischer Ausschreitungen und der Kollaboration mit den Deutschen bei der Judenvernichtung bezichtigen. Auf diese Vorwürfe lautet die Antwort dann, sie seien das Produkt einer deutsch-jüdischen Verschwörung oder Teil einer antipolnischen Propagandakampagne. Es folgt meist der Hinweis auf prosowjetische Kollaboration jüdischer Bevölkerungsteile während des Zweiten Weltkrieges. Doch in Übergriffen gegen jüdische Gemeinden äußert sich diese Art von Antisemitismus kaum – das hieße ja auch, sich zu seinem Judenhaß zu bekennen.

Aggressiv antisemitisch, Aufrufe zu Pogromen eingeschlossen, gibt es seit neuestem in der Westukraine, wo der recht bekannte Nationalist Jurij Schtscherbak zuletzt sogar im Fernsehen zu Pogromen aufrief und deshalb in Haft genommen wurde. Weil er registrierter Parlamentskandidat war, mußte man ihn wieder freilassen. Die jüdische Gemeinde von Kiew protestierte. Dort ist man sich allerdings einig darüber, daß ein Großteil der ukrainischen Nationalisten (die sich selbst so nennen) nicht antisemitisch ist – und – im Gegensatz zu ihrem eigenen Bekenntnis – auch nicht wirklich nationalistisch, sondern allenfalls „national“. Doch anders als in Westeuropa ist der Ausdruck „Nationalist“ in der Ukraine nicht negativ besetzt, er vereint sowohl das, was man anderswo „patriotisch“ nennt, als auch das, was hierzulande als „xenophob, chauvinistisch“ gilt. Nationalisten können somit sowohl Mernschen sein, die für die ukrainische Unabhängigkeit, Ukrainisch als Amtssprache und die Ukrainisierung der Kultur eintreten, als auch solche, die Russen, Polen und Rumänen vertreiben oder sich ostpolnisches Gebiet aneignen möchten. Juden vertreiben wollen, von Schtscherbak und zwei winzigen auf die Lemberger Gegend beschränkten Gruppierungen abgesehen, die wenigsten, selbst die nationalistische, paramilitärische „Ukrainische Selbstverteidigung“ nimmt Juden auf – einzige Voraussetzung: Sie müssen bereit sein, für die Ukraine zu kämpfen, sei es mit Knüppeln, Gewehren oder Panzern.Klaus Bachmann