Stäbchen, Löffel und blöde Sojamilch

Einfach gräßlich, als kleine, häßliche Chinesin in Mittelengland großwerden zu müssen. Eine Erzählung  ■ Von Pui Fan Lee

Es gab Zeiten, da wußte ich noch nicht, daß was verkehrt war. Irgendwie anders. Bis dieses andere Mädchen auf dem Spielplatz zu mir kam und mich fragte, womit ich esse.

Stäbchen und Löffel. Sagte ich.

Hättste sie sehen sollen. Bekloppt! Rannte zu ihren Freundinnen und lachte!

Sags ihnen, sags ihnen, sagte sie. Sags ihnen.

Sag ihnen, womit du ißt!

Stäbchen und Löffel! Stäbchen und Löffel! Stäbchen und Löffel!

Jeder ißt mit Stäbchen und Löffel, oder?!

Und ob ich danach Messer und Gabel wollte!

Und dann meine Knie.

Immer dachte ich, daß alle über meine Knie lachten.

Immer dachte ich, daß ich schmutzige Knie habe. Klar fiel ich oft hin, aber schmutzige Knie hatte ich nie, aber trotzdem singen sie das bis heute.

Chinese! Japanese!

Dirty knees!

What are these!

Titties!

Titten hatte ich nicht, konnten sie also nicht drüber lachen. Hättste mal sehn solln, wie ich morgens meine Knie mit der Zahnbürste geputzt hab. Knallrot waren die. Kein Wunder, daß ich weiß sein wollte.

Ich wollte Vanessa Samantah Heeley sein. Die war toll! Die hatte diese süßen kleinen blonden Zwillingsschwestern Stephanie und Sharon. Und außerdem diesen tollen Namen. So viele Silben. Weiße Namen hatten immer so viele dicke fette Silben. Ich blätterte im Kay-Katalog, Mädchenkleider, und suchte mir ein Mädchen aus, ein Gesicht, ein weißes natürlich, und gab ihr einen Namen, einen ordentlich langen. Wie Elizabeth oder Isabella... und da war sie, mein heimliches ideales Ich.

Mum und Dad gaben uns keine englischen Namen. Alle anderen Kinder aus all den anderen chinesischen Familien, die wir kannten, hatten englische Namen. Sie benutzten sie in der Schule und packten sie weg, wenn sie nach Hause kamen. Einige konnten sie sich sogar selbst aussuchen!

Eine von Lady Dianas Brautjungfern hieß Clementine. Ganz besessen war ich von dem Namen. Phantastisch.

Aber es war zu spät. Ich hatte mich an meinen komischen Namen schon gewöhnt, und alle sprachen ihn falsch aus. Neue Lehrer waren am schlimmsten. Ich saß und hörte zu, bis sie – schön dem Alphabet nach – schließlich zu meinem Namen kamen. Ein garantierter Lacher. Haha.

Mr. Samuels, der Direktor, hat ihn fünf Jahre lang falsch ausgesprochen. Wie Miss Thompson und Mr. Pickering. Schlechtes Gedächtnis, die Leute. Oder taub. Oder einfach ignorante Idioten. Muß verdammt schwer sein, sich eine Silbe zu merken.

Ich wollte nicht zur chinesischen Schule gehen. Wollte nicht mit diesen komischen Buchstaben schreiben. Die komische Sprache lesen. Die komischen Bücher von hinten lesen. Die komische Sprache sprechen. Die blöde Sojamilch trinken, Tofu essen und Algen. Jetzt ist das ja schick. Aber dieses komische Essen war nie in der Werbung in der Glotze. Und die Mütter der anderen Kinder kochten so was auch nicht. Einmal aß ich sonntags bei Vanessa zu Mittag. Phantastisch. Roastbeef mit Soße. Ich liebte die Soße. Die hatten wir auch in der Schule mittags. Die Soße war geil. Geil weiß. Und Käse. Käse ist auch geil weiß. Mum sagte immer, daß er stinkt, weil er verdorbene Milch ist, genau wie Joghurt. Wir hatten Riesenkräche um Käse und Milch und Joghurt und Salat und alles, was roh war. Wir hatten Kräche über vieles. Besonders übers Essen.

Reis. Schüsseln voll. Säcke voll. Reisberge. Reis mit allem, Reis mit gebratenen Eiern. Es gab nichts Blöderes, Langweiligeres und Geschmackloseres als Reis mit gebratenem Ei. Außer Reis mit gekochtem Ei. Warum mußten wir das dauernd essen? Jeden Tag. Selbst mein Bruder jammerte rum. Aber er war was Besonderes, er war ein Junge und kriegte alles, was er wollte. Ich hätte auch ein Junge werden sollen. Wußte ich bloß nix von. Wir kriegten die gleichen Schuhe zu Weihnachten. Muß man sich mal vorstellen. Dicke, klobige Trackshoes. Jetzt sind die trendy, waren sie damals aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn man Vanessas beste Freundin war.

Dann war ich Susans beste Freundin. Susan war Irin. Hatte zehn Geschwister. Aber sie war weiß. Einmal war ich zum Abendbrot bei ihr zu Hause. Das war was. Wir waren vierzehn, und jeder kriegte Spaghetti oder Bohnen auf Toast, was man wollte, und setzte sich damit vorn Fernseher. Ich konnte es nicht fassen. Sah dieses Meer von Tomatensauce, das um mich herum geschlürft und geschmatzt wurde. Und jeder dabei total konzentriert auf „Renta Ghost“. Aber ich hatte keine Sekunde Zeit. Kriegte es nicht hin. Das war vielleicht unhöflich. Tat man nicht. Vielleicht. Ich kriegte es nicht hin ... Vielleicht aber doch ... Auf meinen Schultern lag die Verantwortung für den Ruf der gesamten chinesischen Bevölkerung.

Einmal ging ich in einer Fabrik arbeiten. Wir machten Pasteten für Marks & Spencer. Alles war sauber und weiß. Wir trugen saubere weiße Overalls. Saubere weiße Schürzen, weiße Hüte, weiße Schuhe, weiße Gedanken. Schmutzige weiße Gedanken. Ich hatte keinen Namen mehr, den man falsch aussprechen könnte. Ich war die kleine Chinesin in der großen weißen Fabrik. In der Schule hielt man mich wenigstens für ziemlich „schlau“, und die Idioten hörten auf, mich „Schlitzaugen“ zu nennenm. Aber dies hier war eine Fabrik und ich am Pasteten-Fließband wie alle anderen. Am langsamen Fließband auch noch. Ein Sommerjob. Zuerst wars o.k. Es gab Vorurteile gegen „Studenten“, aber das kannte man. Nach dem Motto: „Sie haben zwar Abitur und schimpfen sich Studenten, aber gesunden Menschenverstand – nicht die Bohne! Und verdammt langsam mit dem Käse und den Tomaten.“ Das war o.k. Ich war ganz zufrieden damit, langsam zu sein mit Käse und Tomaten und Schinken und Broccoli und allem anderen, was wir auf die Pies häufeln mußten.

Aber dann gab es da die große Frage in der Halle. Ich ging am Fleischband vorbei, und da standen sie. Die Fleischjungs. Ich sage Jungs, aber einige waren alt genug, um mein Opa zu sein. War sie oder war sie nicht? Ich wußte, daß sie über mich redeten. Garantierter Lacher, wenn ich vorbei kam. Ist sie oder ist sie nicht?

Als einer sich schließlich traute, saß ich gerade in der Kantine. Jungscher Typ. Hatte seine Mütze falschrum auf und latschte durch die Gegend und versuchte immer, total cool auszusehen.

„Bist neu hier, ey?“

„Mmh.“

„Ey, wir ham dich gesehen. Letzte Woche. Als du kamst.“

„Ach ja?“

„Ja, und wir ham da son kleines Problem, nich, meine Kumpels und ich am Band, und du mußt uns einfach helfen, nich, ey?“

Ehrlich, ich machte mir bei Kleinigkeiten schon fast in die Hose. Ich fühlte, wie seine Kumpels am Tisch hinter mir die Luft anhielten. Eine ganze Horde, mit ihren fleckigen, weißen Uniformen, Messer und Gabel in Händen zur Attacke. Ganz Ohr. Total Ohr.

„Ähm, ja, äh, was wir gerne wissen wollten ... äh, ist, ob du ...“

Lieber Gott im Himmel, hilf mir!

„Ähm, ja, wie soll ich sagen ... Stimmt es, daß ihr Mädchen quer geschlitzt seid?“

Ich kapierte nichts. Fühlte mich dumm und taub. Ein riesiges, großes, gigantisches, brüllendes Lachen platzte hinter mir los, und ich fühlte das Besteck geradezu durch die Kantine fliegen, mir in den Rücken. Wäre es bloß. Und ich auf der Stelle tot umgefallen!

Er wartete nicht auf Antwort. Die Frage war schon der ganze Witz gewesen. Er hatte das Gelächter auf seiner Seite. Punkte gemacht bei den Kumpels. Ich ging zum Klo und saß da eine Ewigkeit und dachte drüber nach, was „quer geschlitzt“ heißen sollte ... und begriff es schließlich und schämte mich in dem Moment so furchtbar, daß ich ganz schnell meine Hosen hochzog und mich im Waschraum versteckte. Ging den ganzen Tag nicht mehr zum Klo. War überzeugt, daß sie Leute reingestellt hatten, die mich ausspionieren sollten. Wetten abgeschlossen. Ist ihre Möse quer oder nicht?

Ende der Woche hörte ich in der Fabrik auf, Fleischpasteten esse ich auch nicht mehr. Auch Huhn aßen wir lange nicht, mein Bruder und meine Schwestern. Das hat mit dem ganzen Getue um frisch zu tun. Nix Gefrorenes oder in Büchsen. Frisches Grünzeug, frischer Fisch, frisches Fleisch. Und was ist frischer als ein lebendiges Huhn? Das ist vielleicht aufm Bauernhof o.k. Aber doch nicht in Nottingham. Es gab diesen blöden Brauch, daß Gäste Essen als Geschenk mitbrachten. Und fast immer brachten sie ein scheißlebendes Huhn. Immer in einem Kartoffelsack. Das arme Vieh! Wußte nicht, daß es nur ein Statussymbol war und sein Geschrei von BBC Radio 1 überdröhnt werden mußte, damit die Nachbarn nicht hörten, was es bei uns zu Abend gab. Und da saßen wir dann um den Tisch. Mum und Dad, über das arme Vieh diskutierend. „Wie gnang a yuk ... gang hare wenig ... an sare jak ...“ Was soviel hieß wie: Wie zäh das Fleisch ist ... das Tierchen war wohl schon ein bißchen älter. Wie sollten wir da wohl noch Huhn essen können, nachdem es während des Besuchs seine letzten Stunden im Außenklo zugebracht hatte und wir dann noch hörten, daß es im Rentenalter war?! Am Ende warfen wir es in den Kofferraum und brachten es der nächstbesten chinesischen Familie ein paar Ecken weiter. Die waren sowieso immer mächtig beeindruckt. Solange wir gut aussahen. Reich. Wohlgepflegt. Aber wir hatten immer einen orangefarbenen Morris-Marina, und so gut sah der nicht aus. Alle anderen fuhren silberne Volvos. Man sah sie vorm Wing-Yip-Supermarkt stehen, einer neben dem anderen, große, glitzernde, fette Autos mit einer kleinen roten chinesischen Laterne im Fester, am Rückspiegel aufgehängt.

So ein Auto mieteten wir für die Hochzeit meiner Schwester.

Oh je, und dann wars immer noch peinlich genug, weil sie nämlich diese Puppe vorne drauf banden. O.k., sie zogen sie als Braut an und so. Aber trotzdem sah man, daß es eine dicke, fette Babypuppe war, billig und aus Plastik. Von da an gings bergab. Dad mietete dieses Riesenlokal in der Innenstadt. Alles rot. Skandalös. Und dann wollte jeder wissen, für wieviel unsere Schwester weggegangen war. Wieviel mein Vater verlangen würde. Wieviel der Bräutigam zahlen würde. Oder wie wenig. Wie dringend wir sie loswerden wollten!

Und dann war da diese gräßlich chinesische Hochzeitsmusik, die mich und mein Bruder verrückt machte.

„Chang, Chang, Chang, Chang, Chang!“

Ja, meine Schwester war billig. Total billig. „Braut-im-Angebot“ nannte man sie. Schrecklich war das. Mum und Dad hatten den totalen Wahn.

Was wird man?

Was werden die Chinesen?

Und ich sage euch, es waren Massen Chinesen da. Der Saal war knallvoll mit all diesen Leuten, die ich noch nie im Leben gesehen hatte. Das war die Hochzeit meiner Schwester, und ich kannte die Gäste nicht! Dad hatte absolut jeden eingeladen, ob er ihn kannte oder nicht. Damit bloß keiner beleidigt ist.

Damit sie zu quatschen aufhören. Jeder aus den Midlands, der einigermaßen asiatisch aussah, war da.

So. Und quatschte.

Quatschte über meine Schwester in ihrem roten Kleid. Quatschte über ihren Schmuck. Wieviel Gold sie trug. Über das Essen. Wieviel Gänge es wohl haben würde. Wie viele wir uns wohl leisten könnten. Wir hatten elf! Wir bestanden die Prüfung! Gerade so. Was für ein traumatisches Ereignis!

„Lieber Gott, bitte mach, daß ich in meinem ganzen Leben das nicht durchmachen muß! Danke, Gott. Amen!“

Pui Fan Lee wuchs in England auf, lebt in London als Schauspielerin. Schreibt auf englisch. Der vorliegende Text ist ein Auszug ihres Beitrages in der Anthologie „Another Province“, Texte chinesischer AutorInnen in Britannien, die im Juni 1994 herauskommen wird.