■ Ökolumne
: Umwelttheater Von Niklaus Hablützel

Meinungsumfragen zeigen, daß die Deutschen den Umweltschutz auf die hinteren Ränge verwiesen haben. Arbeitsplätze sind ihnen wichtiger. Ganz anders jedoch, wenn es um das Image von Produkten oder Firmen geht. Irgendein grüner Punkt muß schon drauf kleben, Öko-Autos sind kaum mehr vermeidbar, und eine Zigarettenfirma versucht, wenigstens die Packung als umweltfreundlichen Müll zu verkaufen. Es spricht viel dafür, daß beide, Meinungsumfragen und Marktanalysen, zutreffen. Wenn es so ist, läßt sich daraus eine lehrreiche These gewinnen – lehrreich für die Schwierigkeiten, heute noch über Ökologie zu reden.

Offenbar liegt uns der Umweltschutz am Herzen, wahrscheinlich glauben wir sogar, daß es so nicht weitergehen darf mit diesem Planeten. Lebenswichtig, oder wenigstens wahlentscheidend, erscheint uns die Sache aber nicht. Ohne Arbeit und Rente könnten wir ja kein Öko-Produkt kaufen. Die Umwelt muß warten, wir kommen noch mal darauf zurück, und bis dahin wollen wir ein paar Höhepunkte erleben.

Die Giftbeutel am Nordseestrand haben aus diesem Grund Medienkarriere gemacht. Sie waren nicht wirklich gefährlich für Menschen, man konnte sie fleißig aufsammeln. Ob Fische und Milliarden von Mikroorganismen an ihnen zu Grunde gingen, ist eine Frage, die nicht weiter verfolgt worden ist. Sie betrifft uns nicht unmittelbar, so scheint es. Herzensangelegenheiten, die nichts kosten, müssen nicht sofort erledigt werden. Sie geraten, da sie Zeit haben, zum Schauplatz von Inszenierungen.

Von einigem Reiz war das Bild des Tankers, der im Bosporus brannte. Aber dort wohnen Türken, der Wind wehte in die falsche Richtung, und für eine richtige Katastrophe floß einfach zu wenig Öl in das wahrscheinlich sowieso dreckige Wasser. Der Unfall schrumpfte zur Kurzmeldung, die Frage nach dem Schaden selbst geringer Mengen von Rohöl für Seevögel wurde gar nicht erst gestellt. Sie besitzt nicht den geringsten Unterhaltungswert.

Mehr Spaß macht das Atomkraftwerk in Biblis. Es brennt mal da, leckt mal dort und kitzelt die Katastrophenlust. Doch die Störfälle sind gerade noch so harmlos, daß sie die Sorge um Arbeitsplätze nicht von ihrem ersten Rang verdrängen können. Wenn wahr ist, daß die Ökologie im Wartestand der Inszenierung von Ereignissen bedarf, ist es natürlich sinnlos, auf die fortdauernde Gefahr zu verweisen, die im System liegt. Unspektakuläre, aber nachhaltige Zerstörungen des ökologischen Gleichgewichts wären dann zur Kenntnis zu nehmen. Verglichen mit dieser Anstrengung, sind die Pannen von Biblis eine Komödie im genauen ästhetischen Sinn: Sie bringen nicht uns selbst, sondern Atomingenieure zur Verzweiflung, beweisen zwar, daß ihre Kritiker im Prinzip recht haben, beweisen aber auch, daß nichts Schlimmes geschieht. Ein Arbeiter, der sein Werkzeug liegen läßt, kann einfach nicht als Anfang der Apokalypse wahrgenommen werden.

Ersatzweise bieten sich Skandale an, die ins Genre des Kriminalromans fallen. Die Fässer von Seveso zum Beispiel. Der längst hinlänglich widerlegte Verdacht, die Gifttonnen seien in die DDR geschmuggelt worden, läßt sich immer noch mal aufwärmen. Die Spekulation entlastet die Seele von der Erkenntnis, daß es ziemlich egal ist, wo die Reste der Unglücksfabrik vergraben sind. Dioxin ist heute auch auf Kinderspielplätzen in giftigen Konzentrationen zu finden.

Daran sind wir gewiß nicht alle gleichermaßen schuld. Aber so genau wollen wir die Täter nun auch wieder nicht kennen. Wir müßten sie dann verhaften und über weitere Konsequenzen nachdenken. Zwielicht befriedigt daher mehr als Aufklä-Foto: K. Eglau

rung. Neulich plauderte ein Mitarbeiter des Technischen Überwachungsvereins vor laufender Fernsehkamera aus der Schule. Er warf seinen Kollegen unter anderem vor, im Atomkraftwerk Brokdorf einen Fehler entdeckt zu haben, den es seiner Meinung nach gar nicht gab. Nur ganz nebenbei erfuhren wir, daß die zuständige Landesregierung ihre eigenen Experten bis nach Amerika schickte, um die Mehrheit der Prüfingenieure zu widerlegen – sie wollte das Atomkraftwerk unbedingt wieder in Betrieb nehmen. Der Skandal half ihr dabei. Gnädig verschwieg seine Enthüllung, daß dieselbe Landesregierung einst die Wahl gewann, weil sie versprach, Atomkraftwerke abzuschalten. Zwischen Wahlumfragen und Marktanalysen geht die Information verloren. Sie wird ersetzt durch die Kolportage.