„Die Stimmung ist schon lange da“

■ Ignatz Bubis zum Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge

taz: Überrascht Sie der Anschlag auf die Synagoge?

Ignatz Bubis: Ich rechne schon lange mit so etwas. Ich verstehe gar nicht, warum so viele Menschen jetzt überrascht sind. Die sehen die Wirklichkeit nicht.

Wie sieht die Wirklichkeit aus?

Die Stimmung ist schon lange da. Die Zahl der Schändungen jüdischer Friedhöfe war 1992 genauso hoch wie in den Jahren 1926 bis 1931. Ich glaube allerdings nicht, daß der Antisemitismus zugenommen hat. Er tritt heute nur offener zutage, heftiger und bekennender.

Glauben Sie, daß der Anschlag eine Reaktion im Zusammenhang mit der Diskussion um Spielbergs Film „Schindlers Liste“ sein könnte?

Da hängen verschiedene Dinge zusammen. Die Diskussion um „Schindlers Liste“ spielt eine Rolle, ebenso wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die „Auschwitzlüge“ und das schlechte Abschneiden der Lübecker Rechtsradikalen bei den Kommunalwahlen. Immerhin galt Schleswig-Holstein als Hochburg der Rechtsradikalen, doch in Lübeck sind sie nicht reingewählt worden.

Glauben Sie, daß die Täter absichtlich eine Synagoge gewählt haben könnten, um etwa möglichst viel Publicity zu bekommen?

Denen geht es um mehr als um Schlagzeilen. Es geht längst um Wirkung: Sie wollen echten Schaden zufügen.

Wer ist Ihrer Meinung nach verantwortlich für solche Anschläge?

Schuld daran sind die geistigen Brandstifter, rechtsradikale Parteien wie die „Republikaner“, die DVU und die NPD, die ungehindert mit Hetz- und Haßparolen die Stimmung schüren.

Plädieren Sie für ein Verbot dieser Parteien?

Nein, ein Verbot würde nichts bringen. Ich plädiere für eine gesellschaftliche Ächtung. Dies kann etwa über Wahlen geschehen.

Vor einigen Wochen wurde ein Anschlag auf die zum Museum umgewandelte Synagoge in Essen verübt. Es wurden vier Libanesen festgenommen. Könnte auch dieser Anschlag im Zusammenhang stehen mit dem Nahost-Konflikt?

Ich schließe nicht aus, daß es sich auch um die Tat arabischer Fundamentalisten handeln könnte. Doch allein die Tatsache, daß es denkbar ist, daß Rechtsradikale den Brand gelegt haben, ist ein Zeichen für die Stimmung in der Gesellschaft. Das Gespräch führte

Michaela Schießl