Für Aufruhr jetzt

■ Kammerspiele: Brecht-Tochter Hanne Hiob las aus den Texten ihres Vaters

Es gibt alte Menschen, die abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit regelrecht zelebrieren: „Ich bin Pessimistin und damit hab' ich recht“, sagt beispielsweise Hanne Hiob, die älteste Tochter Bertold Brechts, über die Zukunft. Die 68jährige Erbin las am Sonntag morgen in den Kammerspielen aus den Werken ihres Vaters und denen des türkischen Schriftstellers Nazim Hikmet für Menschen, die fliehen vor Faschismus und Krieg.

Zusammen mit dem türkischen Schauspieler Memet Gülbeyaz trug Hanne Hiob Auszüge aus den Stücken vor, wechselte zwischen Brecht und Hikmet und ließ so den Eindruck eines geistigen Dialogs beider entstehen. Das Duo Ernst Hagerer (Piano) und Martin Mantel (Gitarre und Gesang) spielte Vertonungen auf deutsch und türkisch.

Die Textfragmente ließen, im Gegensatz zu dem allumfassenden Pessimismus der Vorleserin, immer den Kampfesmut und sogar den Hauch von Hoffnung beider zu Lebzeiten heimatvertriebener Dichter spüren: „Wenn in einer Stadt Unrecht geschieht, so muß Aufruhr sein“, forderte Brecht. Und Hikmet, der 1938 wegen der Veröffentlichung eines Gedichts über den spanischen Bürgerkrieg vom türkischen Regime zu 29 Jahren Einzelhaft verurteilt wurde, bewahrte sich stets die Liebe zu dem türkischen Volk. Seine Gedichte erzählen von seiner Sehnsucht in die Heimat: „Mein Land, weder Mütze noch Schal habe ich von dir“, schrieb er aus dem Exil, und droht seinen Verfolgern: „Wir werden mit unseren Fingernägeln den Sieg aus dem Boden kratzen“.

Rund 70 Gäste hatten sich zu der Matinee, der dritten Veranstaltung des Hanne Hiob Wochenendes, im Theater eingefunden. Die inhaltliche Aktualität war geplant: „Vor drei Jahren habe ich die Lesung angesichts der Gewalt gegen Ausländer und der verstärkten Abschiebungen entwickelt“, so Hanne Hiob. Doch durch den Anschlag auf die Synagoge in Lübeck bekommen die Worte Brechts und Hikmets eine zusätzliche Brisanz. In dem Lied vom SA-Mann läßt Brecht den Faschisten sagen: „Ich hatte nichts zu verlieren“. Mit dieser Lebenseinstellung laufen sicher viele lebendige Zeitbomben durch deutsche Städte.

Katrin Wienefeld