„Zu Hause kann ich besser weinen“

■ Immer mehr PatientInnen entscheiden sich für ambulante Operationen / Direkt nach der OP nach Hause humpeln

„Guten Morgen. Ich bin zuständig für Schlaf und Träume“. Leutselig und heiter sitzt die Narkoseärztin, von Schläuchen und Beatmungsgerätschaft umgeben, am Kopf des Kranken. Es ist 8.30 Uhr morgens und der erste Patient des Tages liegt bereits im Narkoserausch. An seinem Fuß schneidet Jörg Rüggeberg, der Chirurg. „Eine Metallentfernung“, erklärt er. Die Schrauben von einer vorangegangenen Operation müssen herausgenommen werden, „Routinesache.“

Seine ärztliche Gelassenheit kommt nicht von ungefähr: Seit gut zehn Jahren ist der Chirurg Facharzt für Unfallchirurgie. Und die Narkoseärztin war Oberärztin in der Kieler Uni-Klinik, bevor sie 1988 zur ersten „fliegenden Anästhesistin“ Bremens wurde. Mit zwei Kolleginnen betreut sie mittlerweile 15 ambulante Operationspraxen im Bremer Einzugsgebiet – darin liegt auch die Besonderheit des heutigen Eingriffes: Er findet in der Vahrer Praxis eines niedergelassenen Arztes statt.

Seit 1987 werden hier neben dem üblichen Praxisbetrieb ambulante Operationen auch in Vollnarkose durchgeführt – eine Möglichkeit, die die meisten PatientInnen vor allem deshalb wählen, weil sie den Krankenhausaufenthalt vermeiden wollen.

Nicole Kallus beispielsweise wurde vor einem Jahr von ihrem Hausarzt mit einem Keuzbandriß zum Chirurgen überwiesen und gleich operiert. Sie war froh, daß ihr Vater von der ersten Untersuchung an dabei sein konnte und ihr später warme Decken überlegte, als sie aus der Narkose wieder auftauchte: „Ich hatte solche Schmer¡-zen. Ein Glück, daß ich noch am gleichen Tag nach Hause konnte. Da kann man besser weinen.“ Mehrere Male wurde sie bisher ambulant operiert, für den nächsten Eingriff allerdings wird sie ins Krankenhaus gehen – wegen der umständlichen ambulanten Nachsorge: „Ich schaffe das nicht, jeden Tag herzukommen“.

Harald Schreyvogel, der dritte von acht PatientInnen an diesem OP-Tag, hat seine Miniskusoperation erst vor einer halben Stunde überstanden und hängt noch am Tropf. Gegen ein paar Fragen hat er nichts einzuwenden, schließlich will er in ein bis zwei Stunden schon wieder zu Hause bei der Familie sein. Mit der Narkose der Ambulanten sei das kein Problem, hatte ihm die Narkoseärztin im Vorgespräch erklärt. Seine Frau hält Krankenwache: Damit ihr Mann nicht ins Krankenhaus muß, hat sie Urlaub genommen. „Nur gut, daß ich halbe Tage arbeite, sonst wäre die Pflege schwierig.“ Die Entscheidung zur ambulanten Operation trafen die Schreyvogels nicht nur, weil es schöner ist, zu Hause gesund zu werden. Sondern auch, weil das Krankenhaus mehr kostet: „Schließlich zahlen wir über die Beiträge ja doch alles selbst“.

Da ist der Patient sich mit dem Arzt einig. Jörg Rüggeberg ist Vorsitzender der Gesellschaft für Ambulantes Operieren, die 1993 gegründet wurde, um die Interessen der 65 operierenden Fachärzte im Bremer Raum zu vertreten. Sie klagen: Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz sinkt die Bezahlung der ambulanten Operateure für den einzelnen Eingriff – „obwohl immer mehr Leute zu uns kommen und wir billiger arbeiten als die Krankenhäuser.“ Schuld sei vor allem das Gesetz. Infolge der von Seehofer verordneten „Budgetierung“ verfallen die Honorare, beschwert sich die Gesellschaft der Ambulanten. Für die erbrachte Operationsleistung würden statt der veranschlagten 100 Mark nur 80 gezahlt: weil der Topf aus dem sie stammen mit der Zahl der ambulanten Operationen nicht zunimmt, sinkt deren Vergütung relativ. Aus der Sicht der Ambulanten ist das ein Widerspruch: „Das Gesetz will Kostendämpfung. Das wäre durch ambulante Eingriffe möglich. Aber die werden nicht angemessen bezahlt.“ Sie spüren finanziellen Druck: Die teure Ausstattung des Operationssaales, mit dem Standard in Krankenhäusern vergleichbar, müsse sich amortisieren.

Noch gibt es keine Zahlen, die belegen, daß der Zulauf zu den Ambulanten (in den vergangenen zwei Jahren bundesweit 60 Prozent) zu Lasten der Krankenhausoperationen geht – oder ob die böse Vermutung stimmt, daß einfach mehr operiert wird. Darüber klagen die Ambulanten. Ihnen bleibt vorerst das Argument, billiger zu operieren. Das beweisen sie am Einzelfall: In der Vahrer Praxis beispielsweise dauerte die erste Fußoperation des Morgens verhältnismäßig lange – weil sie kompliziert war. Hundert Mark Vergütung rechnet Arzt Rüggeberg sich dafür aus: „Das ist nicht angemessen bezahlt“. Für dieselbe Krankenhausoperation müßte der Patient wohl 10 Tage stationär liegen, schätzt Rüggeberg. „Ich muß ja dumm sein, daß ich das mache“, ärgert er sich. Eva Rhode